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Vergossene Milch

Vergossene Milch

Titel: Vergossene Milch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chico Buarque
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einen Frevel beging und schon bald dafür bestraft werden würde. Und während mir die Hostie noch unzerkaut auf der Zunge lag, warf ich fast ungewollt einen kurzen Blick zum Chor, der sich inzwischen aufgelöst hatte. Bußfertig ließ ich das Ende der Zeremonie über mich ergehen, dann stellte ich mich mit Mama hin, um die lange Schlange von Leuten zu begrüßen, die uns kondolieren wollten. Ich nahm förmliche Beileidsbekundungen, überschwängliche Äußerungen von Fremden, klebrige Hände und säuerlichen Mundgeruch entgegen und hatte keine große Hoffnung mehr, Matilde zu sehen. Bis ich sie neben ihren Eltern erblickte, dann kurz zwischen ihren Schwestern, dann in der Gruppe der Marienkinder. Ich sah, wie sie näher kam, nicht direkt auf uns zu, sondern in konzentrischen Kreisen, wobei sie sich mit tausend Leuten ringsum unterhielt, als stünde sie in der Schlange vor einem Eiscafé. Je näher sie kam, umso mehr brannte ich darauf, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen, und umso mehr bedrückte mich die Vorstellung, ich könnte mich abermals nicht mehr beherrschen. Sie kam, sah mich mit plötzlich tränennassen Augen an, umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr, sei tapfer, Eulálio. Matilde sagte Eulálio, und es war um mich geschehen. Von ihrem warmen Atem in meinem Ohr lief mir ein Schauer über den Rücken und ein zweiter, bei dem sich mir aber die Haare sträubten, weil ich einen Namen hörte, der für mich fast eine Demütigung war. Ich wollte nicht Eulálio heißen, nur in meiner Schulzeit riefen die Priester mich so. Statt Eulálio zu heißen, wollte ich lieber mit meinen Kosenamen Lalá oder Lalinho aus der Kindheit alt und begraben werden. Der Eulálio meines portugiesischen Urururgroßvaters, der dann auf meinen Ururgroßvater, Urgroßvater, Großvater und Vater übergegangen war, klang für mich eher nach einem Echo als nach einem Namen. Also sah ich sie an und sagte, ich habe nicht verstanden. Matilde sagte noch einmal, sei tapfer, Eulálio, und jetzt schien mir, dass mein Name Eulálio in ihrer leicht heiseren Stimme an Form gewann. Sie sprach meinen Namen aus, als kratzte sie leicht daran, und als sie sich umdrehte und ging, bekam ich wie befürchtet abermals eine anstößige Haltung. Schon näherten sich ihre sechs ganz und gar weißhäutigen Schwestern, gleich dahinter ihr Vater, der Bundesparlamentsabgeordnete, an seinem Arm ihre Mutter, dann die Mädchen von der Marienkongregation und noch eine lange Schlange, es gab kein Entrinnen. Ich beugte mich vor, krümmte mich, als hätte ich eine Darmkolik, ließ meine besorgte Mutter stehen und verschwand durch die nächstbeste Tür. Ich lief durch die Sakristei, erschreckte den Priester und seine Messdiener und gelangte zu einem Seitenausgang der Kirche. Als ich Leute auf dem Bürgersteig sah, zog ich mein Jackett aus, hielt es mir vor die Beine und bog in eine Seitenstraße ab. Aber an der Avenida Beira-Mar konnte ich schon gehen, wie es sich für einen Herrn geziemt, abgesehen davon, dass ich den Hut in der Kirchenbank vergessen hatte. Und nach einem ausgedehnten Fußmarsch erreichte ich mit aufgekrempelten Ärmeln die Villa in Botafogo und sah, dass der alte Chauffeur meiner Mutter an der Motorhaube des Ford lehnte. Ich ging von hinten ins Haus und direkt nach oben ins Badezimmer, denn ich hatte viel geschwitzt und brauchte eine kühle Dusche. Und ich musste dringend dieses Verlangen besser verstehen, das mich so aus der Fassung gebracht hatte, so etwas hatte ich noch nie empfunden. Wenn Verlangen so aussah, kann ich sagen, dass ich vor Matilde keusch gewesen war. Womöglich hatte ich ohne Vorwarnung die Wollust meines Vaters übernommen, so wie ich von einem Tag auf den anderen Krawatten, Zigarren, Geschäfte, Immobilien und eine mögliche Karriere in der Politik geerbt hatte. Mein Vater hatte mich in Paris den Frauen zugeführt, doch mehr als die Französinnen selbst hatte mich immer sein Blick auf diese Frauen beeindruckt. So wie mich der Duft der hiesigen Frauen weniger beeindruckte als der Geruch nach ihm, der in der Garçonnière hing, die er mir zur Verfügung stellte. Fast ängstlich betrachtete ich mich nun unter der Dusche und stellte mir dabei in meinem Körper all die Kraft und Unersättlichkeit meines Vaters vor. Während ich meinen Körper ansah, hatte ich das Gefühl, ein potentiell ebenso großes Verlangen zu besitzen wie er, ein Verlangen nach allen Frauen der Welt, aber konzentriert auf eine einzige.

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    Guten Morgen, Blume des

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