Verhängnisvolles Gold
ich mir überhaupt nicht sicher.
Einen Augenblick stehen wir da und versuchen uns gegenseitig mit unseren Blicken zu bezwingen, während alle anderen um uns verzückt herumwirbeln und sich ineinander verlieben. Wir haben uns festgefahren. Da wird sein Blick weicher, er lässt mich los und ich fühle mich auf einmal schrecklich allein. Fast wünsche ich mir, dass er wieder mit mir tanzt, aber das ist falsch, das weiß ich.
Einen Augenblick lang ist sein Gesicht traurig, aber er überspielt das rasch mit einem Lächeln. »Entschuldige. Irgendwie hab ich dich durcheinandergebracht. Ich geh raus und sorge dafür, dass die Schüler alle sicher nach Hause kommen.«
Mit einer Verbeugung entfernt er sich von mir und lässt mich mitten auf der Tanzfläche stehen. Er geht so leichtfüßig durch das Gedränge, ohne mit jemandem zusammenzustoßen oder ihn zu bedrängen, als könnte er das auch blind.
Ich überprüfe noch einmal den Verschluss meiner Fußkette. Er ist immer noch zu, immer noch sicher. Ich bin nicht allein. Nicht, solange die Hoffnung besteht, Nick zu finden, nicht, solange ich meine Freunde habe. Meine Willenskraft beginnt wieder wachsen. Es gibt so viel zu tun. Ich darf keine Zeit vergeuden.
Obwohl ich mich schrecklich vor der Begegnung mit Grandma Betty fürchte, die mir noch bevorsteht, gehe ich nach einer Dreiviertelstunde in der Tanzhölle nach draußen und halte nach Elfen Ausschau, damit all die glücklich tanzenden Menschen sicher nach Hause gehen können.
Das ist die Welt der Elfen, also wohl jetzt auch meine Welt: patrouillieren und jagen, witternd die Nase in die Luft halten und nach Bedrohungen Ausschau halten. Ich halte nach Bedrohungen Ausschau, weil die Menschen in Sicherheit leben sollen. Und ich tue es, weil nicht ich die Bedrohung seinmöchte. Das ist eine gute Unterscheidung, finde ich, eine gute Linie zwischen Gut und Böse, zwischen Retter und Verfolger, zwischen Held und Schurke. Ich will nicht die Böse sein und ich will nicht, dass Menschen sterben, nicht wenn ich Wache halte, niemals. Ich muss daran glauben, dass jeder Schritt, den ich mache, ein Schritt hin zum Guten ist, denn wenn ich das nicht glaube, dann ist alles, absolut alles verloren.
Etwas fällt auf den Schnee. Ich stürze in Richtung des Geräuschs, auch wenn meine Fäuste wieder zittern, weil ich mir Frank vorstelle.
»Es ist nur Eismatsch«, rede ich mir ein und ich habe recht: Schnee und Eis im Radkasten eines Lastwagens sind zu Boden gerutscht.
Jedes Geräusch ist ein mögliches Problem, der Geruch eventuell eine Warnung. Jedes Eichhörnchen, das von einem Ast zum nächsten springt, könnte ein Elf sein. Seit ich ein Elf bin, höre und rieche ich so viel besser – ich ziehe witternd die Luft ein. Und die ganze Zeit denke ich: Wie kommen wir nach Walhalla? Wie finden wir Nick?
Ich patrouilliere über den Parkplatz, lausche, ob ich Elfen höre, und dann … der Geruch streicht durch meine Nasenlöcher. Meine Muskeln spannen sich an. Ich gehe gerade an Issies Auto vorbei, als Astley von einer hohen Straßenlaterne herunterspringt und vor mir landet. Im Licht der Laterne sehen seine Haare noch goldener aus als sonst. Eine feine Schicht Elfenstaub mischt sich mit dem Schnee.
»Ich dachte, du wärst gegangen.«
»Warum?«, fragt er abweisend. »Ich habe gesagt, dass ich patrouilliere. Glaubst du mir nicht?« Er strafft die Schultern und schaut weg.
»Ich dachte, dass du vielleicht aufgegeben hast. Zu viele böse Elfen. Zu viele Menschen, die beschützt werden müssen.«
»Es ist nicht meine Art aufzugeben.« Er zuckt halbherzig die Achseln. Seine Schultern scheinen den groben Stoff seines Jacketts zu dehnen. Mit seinen blonden Haaren und seiner golden schimmernden Haut sieht er fast aus, als könne er leuchten, aber er hinterlässt nur überall feine Spuren von glitzerndem Staub, Staub eines Elfenkönigs. Mit zusammengekniffenen Augen schaut er in die Ferne: »Ich habe beschlossen zu bleiben und mich zu vergewissern, dass du sicher nach Hause kommst. Gehst du jetzt ohne deine Freunde?«
Ich gehe in die Hocke und fahre mit den Fingern durch die dünne Schneeschicht. »Nein. Ich patrouilliere auch. Ich möchte Übergriffe von …« Ich breche ab und weiß nicht, wie ich es sagen soll, ohne unhöflich zu sein.
»Elfen wie uns?« Er formuliert es halb wie eine Frage und halb wie die Vollendung meines Satzes.
Statt zu antworten, senke ich den Blick. Ich habe den Buchstaben N in den Schnee geschrieben, N wie Nick.
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