Verirrte Herzen
gutwerden.
»Wollen wir vielleicht eine kleine Runde spazierengehen?« fragte Caro, als Lilly wieder einmal eingeschlafen war.
Mittlerweile ging es Lilly deutlich besser. Sie musste zwar noch auf der Intensivstation bleiben und war sehr schwach, aber sie befand sich auf dem Weg der Besserung. Die Ärzte machten Anne große Hoffnung, dass ihre Tochter wieder vollständig genesen würde.
Anne nickte. In den letzten beiden Tagen hatte sie die Station nicht verlassen. Sie hatte ihr Essen dort bekommen. Geschlafen hatte sie nur selten und wenn, dann im Sitzen an Lillys Bett.
Anne meldete sich bei der Schwester ab, die ihr versicherte, dass sie Lilly ruhigen Gewissens eine Weile alleinlassen konnte.
Stumm liefen Caro und Anne nebeneinander her zum Ausgang. Als sie nach draußen kamen, empfing sie freundlicher Sonnenschein. Es war deutlich wärmer als Anne erwartet hatte.
Caro hakte sich bei Anne unter. Es fühlte sich gut an, so vertraut, so selbstverständlich.
Sie spazierten die Abfahrt zur Straße hinunter und bogen in einen kleinen Waldweg, der zu einem Park führte.
»Ich hatte solche Angst um Lilly«, begann Anne das Gespräch. »Ich darf gar nicht daran denken, was alles hätte passieren können. Ich hätte es nicht durchgestanden, wenn ihr etwas zugestoßen wäre.« Es war das erste Mal, dass Anne über ihre Sorgen und Ängste sprach.
Caro hörte Anne einfach nur zu. Sie fand, dass es besser war zu schweigen.
»Vielleicht hätte ich sie eher ins Krankenhaus bringen und nicht so lange warten sollen. Aber ich dachte doch nicht, dass es so schlimm sein könnte«, fuhr Anne fort.
»Anne, du hast doch keine Schuld daran. Wer hätte denn denken können, dass es so etwas Ernstes ist?«
Ein tiefer Seufzer entfuhr Anne. »Ich weiß nicht.« Wahrscheinlich hatte Caro recht. Aber musste man als Mutter so etwas nicht merken?
Sie waren vor einer Parkbank stehengeblieben. »Wollen wir uns einen Augenblick setzen?« fragte Caro, die schon dabei war Platz zu nehmen.
»Gern«, erwiderte Anne und ließ sich neben Caro nieder. Erschöpft lehnte sie ihren Kopf an Caros Schulter und schloss die Augen. Der fehlende Schlaf machte sich bei Anne bemerkbar.
Caros Herz klopfte schneller. Sie legte ihren Arm um Anne, um sie festzuhalten. Zärtlich strich sie mit der freien Hand durch Annes Locken und streichelte behutsam über ihre Wange. Die warme, weiche Haut unter ihren Fingern ließ sie erschauern. Ein Kribbeln breitete sich über ihren ganzen Körper aus. Sie hörte Annes gleichmäßigen Atem. Sie musste eingeschlafen sein.
Caro beugte sich zu Anne hinunter und küßte sie vorsichtig auf die Stirn, um sie nicht zu wecken. Wie sehr hatte sie Anne vermisst. Sie hatte sich so sehr danach gesehnt, sie zu berühren, ihre Lippen zu küssen, sie zu schmecken.
Mit jeder Sekunde, die sie so dasaßen, wurde Caro bewusster, dass sie nur mit Anne an ihrer Seite glücklich sein konnte. Anne war zweifellos ihre einzige, ihre große Liebe. Sie musste ihr einfach verzeihen, und sie würde es schaffen.
Plötzlich murmelte Anne etwas Unverständliches.
Ein Lächeln erschien auf Caros Lippen. Anne war einfach bezaubernd. Sie sah so wunderschön aus. Wie konnte Anne nur jemals glauben, sie sei nicht das Wichtigste in Caros Leben? Sie und Lilly waren doch alles für sie.
Caro spürte Annes Herzschlag an ihrer Brust. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so wohlgefühlt wie in diesem Augenblick. Eine ganze Ewigkeit hatte sie keinen Moment so sehr genossen wie diesen hier.
Mit einem Mal war ihr klar, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Sie musste etwas ändern. Sie musste Anne eine Chance geben, und vor allem musste sie sich selbst verändern. Sie wollte endlich ihre Versprechen einlösen und die Arbeit auch einmal Arbeit sein lassen und sich statt dessen um ihre kleine Familie kümmern, die das bedeutendste in ihrem Leben war.
Jetzt war sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt. Erst einmal musste Lilly wieder gesund werden. Doch dann würde Caro Anne um einen Neuanfang bitten.
»Anne, aufwachen«, flüsterte Caro in Annes Ohr.
Überrascht schlug Anne die Augen auf. »Was ist passiert?« Erst jetzt wurde Anne bewusst, dass sie sich an Caro gelehnt hatte. Sie richtete sich auf und rutschte ein Stück von Caro weg.
»Du warst wohl so müde, dass du sofort eingeschlafen bist, nachdem wir uns auf die Bank gesetzt haben.« Caro lächelte sie an. »Was hältst du davon, wenn ich heute Nacht bei Lilly bleibe und du dich zu Hause
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