Verirrte Herzen
ausruhst?«
Nachdenklich fuhr sich Anne mit den Fingern übers Kinn und ließ sie dort liegen. »Vielleicht wäre das wirklich ganz gut. Etwas Schlaf könnte ich gebrauchen.« Die Müdigkeit hatte ihre Glieder schwer werden lassen. Lilly hatte das Schlimmste überstanden, nun könnte sie tatsächlich wenigstens für einige Stunden nach Hause gehen. Wenn Lilly erst einmal die Intensivstation verlassen hatte, konnte sie in ihrem Zimmer ein eigenes Bett bekommen, jetzt war das leider noch nicht möglich. »Es wäre wirklich toll, wenn du bei Lilly bleiben könntest, dann fahre ich heute Nacht nach Hause.« Annes Stimme stockte, sie senkte ihren Blick. »Also, zu Nadine, meine ich.«
Nach zwei weiteren Tagen konnte Lilly auf die normale Station verlegt werden. Caro kam jeden Tag, um Anne beizustehen. Sie genoss die gemeinsame Zeit mit Anne und Lilly sehr, und von Mal zu Mal fiel es ihr schwerer, Abschied zu nehmen.
Auch Peter besuchte seine Tochter täglich.
Nach zwei Wochen wurde Lilly kerngesund entlassen. Von der schweren Krankheit, die sie durchgemacht hatte, war nichts mehr zu spüren. Ihr ging es wieder blendend.
»Freust du dich schon auf zu Hause?« Anne sah Lilly lächelnd an.
Die Kleine nickte. Mit der Zeit war es im Krankenhaus wirklich langweilig geworden. Daran änderten auch das Spielzimmer und der Fernseher nichts.
Die Tür ging auf, und Caro trat gutgelaunt ins Zimmer. »Hallo ihr zwei. Wie ich sehe, seid ihr schon fleißig am Tasche packen«, begrüßte Caro sie. Sie hatte angeboten, die beiden zu Nadine zu fahren, damit sie nicht den Bus nehmen mussten.
Wenig später lud Caro die Taschen in den Kofferraum ihres Autos.
Es war ein komisches Gefühl für Caro. Sie wusste, dass sie Anne und Lilly nun erst einmal eine Weile nicht sehen würde, und wenn doch, dann nur für kurze Zeit. Bei diesem Gedanken spürte sie einen Stich in ihrer Brust.
Anne betrachtete Caro ausgiebig. Die ganze Zeit über hatte sie nur Augen für Lilly gehabt. Beinahe hatte sie vergessen, wie schön Caro war. Ihre Augen glitten verträumt den wohlgeformten Körper entlang. Er war einfach perfekt. Bei dem Gedanken, mit ihren Fingern Caros seidige Haut zu fühlen, kam ein Seufzer über ihre Lippen. Sie spürte ein Ziehen in ihrer Magengegend. Wie sehr verzehrte sie sich danach, Caro zu berühren.
»Wollt ihr nicht einsteigen?« fragte Caro, als sie bemerkte, dass Anne mit Lilly noch immer vor dem Wagen stand.
»Äh. Ja. Natürlich«, stotterte Anne. Eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. Verlegen senkte sie den Blick zu Boden.
Sie setzte Lilly auf die Rückbank. Caro hatte den Kindersitz noch nicht weggeräumt, stellte Anne erstaunt fest. Dann nahm sie selbst auf dem Beifahrersitz Platz.
Caro startete den Motor und fuhr los. Als ihr Annes Nähe bewusst wurde, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Ihre Finger wurden feucht. Anne strahlte überglücklich, ihre Augen leuchteten so unwiderstehlich. Mit aller Kraft versuchte Caro sich auf die Straße zu konzentrieren und Annes Gegenwart zu ignorieren, doch es wollte ihr nicht gelingen. Annes Duft stieg ihr in die Nase, am liebsten hätte sie einfach angehalten und wäre über sie hergefallen. Schluss jetzt, ermahnte sich Caro. Sie würde noch verrückt werden, wenn das so weiterginge.
»Danke für alles, was du für mich in den letzten Wochen getan hast. Ohne deine Hilfe hätte ich diese schwere Zeit kaum überstanden«, unterbrach Anne die Stille.
»Das war doch selbstverständlich«, erwiderte Caro und fügte so leise hinzu, dass Anne es nicht hören konnte: »Für euch würde ich alles machen.«
Als sie angekommen waren, parkte Caro ihren Wagen direkt vor Nadines Haustür. Sie holte die Tasche aus dem Kofferraum. »Soll ich sie noch nach oben tragen?« fragte sie. Der Gedanke, sich gleich von Anne zu trennen, erfüllte sie mit Trauer.
»Das ist nicht nötig. Das schaffen wir schon. Wir wollen dich nicht länger aufhalten. Du hast mehr als genug Zeit für uns geopfert.« Anne lächelte Caro an.
»Alles klar«, entgegnete Caro. Doch ihr Gesichtsausdruck verriet, dass das Gegenteil der Fall war. Nichts war klar. Sie konnte gar nicht genug Zeit mit ihnen verbringen, und es war alles andere als ein Opfer für sie gewesen.
»Ich hoffe, wir sehen uns bald einmal wieder«, sagte Anne, und es klang eher beiläufig, als würde ihr nicht allzuviel daran liegen. Doch in Wirklichkeit wünschte sie sich nichts mehr, als dass sie sich gar nicht mehr trennen würden. Sie ging auf
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