Verkehrte Welt
offenbarte ihm, dass er sie noch nie zum Orgasmus gebracht hätte, ohrfeigte ihn auch mehrfach öffentlich aus nichtigem Anlass, griff bei der Scheidung ordentlich ab und verschwand aus seinem Leben.«
Seufzend sah Wolf von seinem Schreibblock auf und ließ zufrieden den boli sinken. 76 Os und 8 Ös hatte er im Kopf mitgezählt, das war top. Er hatte sich eine Belohnung verdient und ging ins fast voll besetzte Hotelrestaurant. Beim Oberkellner orderte er eine heiße Schokolade, und während er darüber nachdachte, ob er nicht auf 100 Os kommen könnte, wenn er Olga - statt sich von ihr scheiden zu lassen - erst in Ohnmacht, dann ins Koma fallen ließe, ins Hospital brächte und mit dem zuständigen Oberarzt Dr. Oliver Oschmann eine homosexuelle Beziehung voller Obszönitäten einginge, kam der Ober mit der Schokolade und fragte ihn, ob er etwas dagegen hätte, wenn sich ein weiterer Gast zu ihm setzen würde. Er verneinte und schaute sich um. Langsam rollte eine attraktive Frau im Rollstuhl auf seinen Tisch zu. Ihre lockigen blonden Haare waren zu einem Zopf gebunden, der Pony verdeckte eine hohe Stirn über dem oval geschnittenen Gesicht, und sie trug einen rostroten Wollpullover zum orangefarbenem Rock. Wolf sprang auf und wollte den überflüssigen Stuhl entfernen, doch der Ober war ihm zuvorgekommen.
»Machen Sie sich keine Umstände, es geht schon«, sagte sie mit holländischem Akzent und lächelte ihm zu.
Seine Gedanken überschlugen sich. Was für ein sensationeller Stoff! Er, Wolf Grohlmann, hatte am Volant des Volvo gesessen, mit dem sie frontal gegen den Opel Corsa gedonnert waren, bevor sie die Böschung hinunterpolterten. Seine Verlobte, Eleonore, kam mit dem Leben davon, aber ohne gehen zu können; Wolf pflegte sie aufopferungsvoll.
»Manchmal geht mir diese O-Obsession ordentlich auf den Sack«, dachte er wörtlich, bevor sie ihn ansprach:
»Darf ich mich vorstellen: Anna van Malthuisen aus Arnheim.«
Wolf lächelte, wie von einer großen Last befreit.
»Das ist ja fantastisch«, dachte er und hörte sich sagen:
»Sehr angenehm, Ralf Rattmann aus Aachen.«
Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! für Leipzig 2011 mit der Transaktion-ID 1075178 erstellt.
TOTAL GLOBAL
»Was soll ich denn heut mal kochen, Schatz?«
»Egal; alles, was du machst, ist lecker.«
»Aber ich möchte mal was Besonderes kochen!«
»Dann mach das doch, ich werde hier sein und es essen.«
»Wenn dir das egal ist, dann hab ich schon keine Lust mehr.«
»Es ist mir nicht egal, ich habe einfach unbegrenztes Zutrauen in deine Kochkünste.«
»Aber ich würde mich freuen, wenn du dich mal dafür interessierst!«
»Was meinst du damit?«
»Du könntest mal mit einem Rezept kommen und sagen, das hätte ich gerne!«
»Wo soll ich denn ein Rezept hernehmen, ich baue weltweit Call-in-Center auf, meinst du, ich rede mit den Kunden über Rezepte?«
»Nun werd doch nicht albern, überall stehen Rezepte in der Zeitung.«
»Nicht im Kicker.«
»Aber hier in der ›Bild am Sonntag‹ z. B.: Schmorgurken süßsauer, ein altes ostpreußisches Rezept, Schmorgurken, Fleischbrühe, Tomaten, Speck, Piment, Zucker, Essig, Lorbeer, klingt das nicht toll?«
»Ja.«
»Und was möchtest du dazu haben?«
»Weiß nicht, Frühlingsrollen vielleicht?«
»Chinesische Frühlingsrollen zu ostpreußischen Schmorgurken? Die Herkunftsländer dieser Gerichte liegen doch bestimmt 5000 Kilometer auseinander, das passt doch nicht!«
»Wieso, die Chinesen kochen doch auch gern süßsauer. Und möglicherweise ist das Schmorgurken-Rezept ursprünglich aus China zu uns rübergekommen. Und überhaupt ist das total in, das nennt man Cross-over-Küche.«
»Na dann packen wir doch gleich noch ein Pfeffersteak aus argentinischem Rindfleisch zu der Gurke, das sind dann noch mal ungefähr 10 000 Kilometer auf dem Teller.«
»Jau, das find ich echt total global.«
»Und ein Pfirsich-Chutney aus Mauritius würde die Sache auf 20 000 Kilometer abrunden!«
»Schatz, weißt du, dass das eine ganz tolle Idee für eine Fernsehshow ist? Ich seh es schon vor mir: Die kulinarische Rallye mit Alfons Dolezal, oder vielleicht: Weit essen mit Alfons Dolezal, wie findest du das?«
»Na ja, Alfons Dolezal klingt nicht gerade cool für einen Fernsehmoderator!«
»Kai Pflaume auch nicht, das ist heutzutage kein Hinderungsgrund für eine Karriere.«
»Aber die Namen für die Show sind auch doof, wie findest du: Die Tellerrallye mit Wiebke Abendroth-Dolezal?
Weitere Kostenlose Bücher