0162 - Londons Pflaster ist heiß
Ich kenne London nicht viel schlechter als New York, aber ich kenne es erst seit vier Wochen. Wir haben beim FBI ein paar hübsche Methoden, einen Mann für seinen Einsatz fit zu machen. Mich hat man vier Wochen lang ausschließlich auf London getrimmt. Karten, Bilder, Luftaufnahmen, Bücher, Beschreibungen, Verkehrssysteme, das alles hatte man in mich hineingestopft, und zum Schluss hatte ein bebrillter Mann mit mir eine Prüfung veranstaltet, als sollte ich ’ne Taxifahrerlizenz für London erwerben.
In London angekommen, fuhr ich zum Astor Hotel in der Calligan Street. Dieses Hotel hatte ich mir ausgesucht, weil die Calligan Street gerade so an der Grenze von Soho liegt, dass ich es zu den Stätten meines Wirkens nicht weit hatte.
Ich nahm ein Zimmer im ersten Stock, ließ mein Gepäck hinaufbringen, zog mich um und ging spazieren.
Die Slums der Großstädte in aller Welt sehen sich auf eine vertrackte Weise ähnlich, aber in London haben selbst die Slums Tradition. Sie sind gewissermaßen stolz darauf, Slums zu sein, und so haben sie eine Attraktion für den Fremdenverkehr daraus gemacht. Omnibusse quälen sich durch die engen Straßen. Die Führer rufen durch die Lautsprecher die Sehenswürdigkeiten aus und empfehlen den Gästen den einen oder anderen Nachtklub, falls sie sich heute Abend zu amüsieren gedächten.
Auch ich interessierte mich für Nachtklubs, aber nur für einen ganz bestimmten. Er nannte sich Starlight Klub, und seine Türen waren selbstverständlich um diese Stunde fest verschlossen. Ich merkte mir die Öffnungszeiten, und danach ging ich zwei Straßen weiter. Ich wusste, dass es dort eine kleine Kneipe gab, und ich wusste sogar den Namen des Mannes hinter der Theke.
Er hieß Chess Calligan.
Als er allerdings noch New Yorks Einwohnerschaft um eine unerfreuliche Type mehr bevölkerte, nannte man ihn Kosmetik Charly.
Irgendwer hatte Calligan mal einen mächtig harten Gegenstand auf die Nase geschlagen. Sein Nasenbein vertrug diese Behandlung nicht. Es zersplitterte. Chess’ fragwürdiges Gesicht wurde dadurch nicht schöner, und er unterzog sich einer kosmetischen Operation in der Absicht, sich eine la-Nase einbauen zu lassen.
Leider geriet er an einen Pfuscher. Er fabrizierte Calligan eine Nase ins Gesicht, die etwa aussah wie eine Kreuzung aus Kartoffelknolle und Mohrrübe. Das erkannte Chess leider erst, als es zu spät war, denn der Pfuscher hatte Vorauszahlung verlangt und ihm das Gesicht mit Bandagen so verwickelt, dass Chess nichts von dem Unglück ahnte, bis er weisungsgemäß nach drei Wochen die Verbände entfernte. Zu dieser Zeit war der Pfuscher längst über alle Berge.
Kosmetik Charly hatte seinen Spitznamen weg, und es nützte gar nichts, dass er jedes Mal sehr wild wurde, wenn man ihn so nannte, denn zu allem Unglück war seine neue Nase auch noch sehr empfindlich, sodass schon schwache Haken und getupfte Gerade Chess vor Schmerzen aufschrien ließen. Damit war seine Laufbahn vorbei. Calligan benutzte eine kleine Erbschaft, die ihm ein englischer Verwandter hinterließ, um das für ihn unerfreulich gewordene New York zu verlassen. Er kaufte in London die Kneipe und schien sich zur Ruhe gesetzt zu haben.
Ich kannte Chess nur von Bildern, und das waren Bilder, auf denen er noch seine normale Nase hatte. Trotzdem war ich keine Sekunde lang im Zweifel, als ich die Kneipe betrat, dass der Mann hinter der Theke Kosmetik Charly war. Seine Nase bezeugte seine Identität besser als jeder Pass. Calligan war dick geworden. Unter der weißen Schürze wölbte sich ein kleiner Bauch, und um sein Kinn legten sich zwei prächtige Speckfalten.
Die kleine Kneipe, eines dieser Dinge, die man in England Pub nennt, war zu der frühen Stunde noch leer. Chess polierte die Gläser. Ich stellte mich an die Theke und nickte ihm zu.
»Bier?«, fragte er.
»Nicht zu dieser frühen Stunde! Gib mir lieber eine Tasse Kaffee, Kosmetik Charly !«
Er zog die Augenbrauen zusammen.
»Du kennst mich?«, fragte er. Es machte ihm sichtlich wenig Freude, seinen alten Spitznamen zu hören, den er in den Staaten zurückgelassen zu haben glaubte.
»Nicht persönlich«, antwortete ich, »aber ich kenne Holly Hoog.«
Chess bediente die Kaffeemaschine.
»So«, sagte er gedehnt und schien nicht die richtige Lust zu haben, das Gespräch fortzusetzen, aber ich bohrte weiter.
»Du erinnerst dich doch noch an den alten Holly, nicht wahr? Ihr habt doch damals zusammengearbeitet, als Daniel Fryer das Leben sauer
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