Verletzlich
sagte ich und drehte mich zu ihr um: »Grunz! Grunz! Grunz!« Dabei kitzelte ich sie am Bauch, bis sie kreischte.
Jetzt war es an meiner Mutter zu schimpfen: »Hör auf, Emma! Sonst baue ich noch einen Unfall! Und schnall dich wieder an!«
Wir kamen an einem Schild vorbei, das auf eine historische Sehenswürdigkeit hinwies. Darauf stand etwas mit SÜDSPITZE VON DAHLONEGA . Mehr konnte ich im Vorbeifahren nicht lesen. Ich wusste, dass es in Dahlonega eine Mine gab. Kohle? Silber? Gold? Daran konnte ich mich nicht mehr erinnern.
Meine Mutter zu bitten, dass sie anhalten sollte, war zwecklos. Sie interessierte sich nicht einmal für ihre eigene Geschichte und für die von anderen schon gar nicht. Als ich sie zum letzten Mal nach meinem Vater gefragt hatte, war die Antwort gewesen, ich solle ihn googeln. Aber ich hatte nichts finden können, außer einem Service, der mir für $ 39.95 anbot, seine neueste Strom- und Gasrechnung einzusehen.
Mein Plan stand fest: Das Erste, was ich tun würde, wenn ich den Führerschein hatte, war, mit meiner Mutter eine lange Tour zu machen, auf der wir an jeder Sehenswürdigkeit anhalten und jedes einzelne Wort in Ruhe lesen würden. Ich wusste, wie sie reagieren würde.
»Du hast keinen Sinn für Zeit, Emma.«
Stimmt, Mom. Wenn du sie nicht gerade in Jahrhunderten bemisst. Oder Führerscheinen. Noch zwei Tage.
Auf der Suche nach dem Fußballplatz nahmen wir die falsche Abzweigung. Die Straße endete auf einer schattigen Lichtung. Vor uns erhob sich ein altes graues Gebäude, das auf flachen Flusssteinen gebaut war. Die Fenster waren mit Schlamm bespritzt und ein veralgter Bach wand sich daneben entlang.
»Der ideale Ort für einen Mord«, stellte ich fest.
»Ich will aussteigen!«, rief Manda aufgeregt. »Ich will mir das angucken!«
Mom riss fluchend das Lenkrad herum. Schotter und Staub flogen auf. Als wir wieder auf der Hauptstraße waren, öffnete sich der dichte Wald auf wundersame Weise und zehn von der Sonne beschienene Fußballplätze wurden sichtbar, auf denen Dutzende Mädchen in den unglaublichsten Farbkombinationen herumliefen.
»Gott sei Dank«, seufzte meine Mutter.
Wir stiegen aus und Manda zerrte sie sofort zum Kiosk, weil sie ein Wassereis haben wollte, während ich mich zu meinen Mannschaftskameradinnen ins Hauptzelt begab. Die Zeit bis zum Anpfiff eines Turniers hasste ich. Bis der Schiedsrichter in den kurzen gelben Shorts endlich genug auf unseren Schienbeinschützern herumgeklopft hatte, war ich kurz davor, alles umzutreten, was Stollenschuhe trug.
Ungeduldig riss ich Spuren ins taufrische Gras, während Gretchen darauf wartete, dass der Schiedsrichter in die Pfeife blies. Sie stieß den Ball in meine Richtung an. Nicht weil sie wollte, sondern weil unser Trainer ihr sonst Beine gemacht hätte.
Lässig lief ich auf den Ball zu und trat dann mit voller Wucht dagegen. Die Kraft des Schusses überraschte das gegnerische Team komplett. Zwei Mittelfeldspielerinnen waren bereits losgelaufen, um zu verteidigen, und stolperten jetzt hastig zurück auf ihre Positionen. Sie konnten aber nur noch zusehen, wie die Kugel über ihre Köpfe hinwegsegelte. Ich sprintete dem Ball hinterher und stieß dabei zwei gegnerische Verteidigerinnen aus dem Weg. Zugegeben: Ich rempelte gern. Vielleicht, weil der Rest meines Lebens so behütet ablief. Das Fußballspielen erlaubte Dr. Peters mir nur, weil meine Füße dabei am Boden blieben. Meistens jedenfalls. 30 Meter vor mir kam der Ball auf und prallte so hoch ab, dass die Torhüterin zurücklief und zu spät merkte, dass er über sie hinwegflog. Darauf hatte ich gehofft. Ich zog an ihr vorbei, nahm den Ball aus der Luft auf und versenkte ihn sicher ins Netz. Eins zu null für die Guten.
Für den Rest der Halbzeit ging es so ähnlich weiter. Die Georgia-Mädels waren komplett verstört, drei zu null. Ich kassierte eine Gelbe Karte wegen eines Fouls an einer Stürmerin, die diese Behandlung aber verdient hatte. Mit anderen Worten, die gegnerischen Spielerinnen fanden heraus, was in unserer eigenen Liga längst jeder wusste: Emma Cooper geht bis an die Grenzen … und manchmal auch darüber hinaus. In der Halbzeitpause sah ich, wie sie auf der anderen Seite über mich redeten und auf mich zeigten, während sie an ihren Orangenscheiben lutschten. Sie hassten mich bereits. Gut so.
Wir spielten an diesem Tag drei Spiele und dominierten während des gesamten Turniers. Bislang war keine Mannschaft weiter als vier Punkte an uns
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