Verletzlich
in die Richtung zu drehen und hatte das Gefühl, er würde mir im nächsten Moment von der Schulter fallen, so sehr schmerzte mein Hals.
»Mmmmph«, stieß ich hervor. Dann wiederholte ich es lauter, doch niemand bemerkte es. Noch nie hatte ich mich so müde gefühlt. Unendlich müde. Ich stemmte mich im Bett hoch und versuchte mich aufzusetzen. Schnell gab ich jedoch auf und ließ mich in das dicke Kissen zurückfallen, das sich um meine Ohren legte.
»Emma!«
Mom schwebte in mein Sichtfeld und nahm meine Hand. Dabei stieß sie versehentlich an den Plastikschlauch.
»Autsch.« Ich war zu müde, um mir weitere Gedanken zu machen.
Mom hatte dunkle Ringe unter den geschwollenen Augen. Ihr Haar war stumpf und Sorgenfalten durchzogen ihr Gesicht.
»Sie ist wach!«, sagte sie und umarmte mich, so gut es in dem Bett eben ging.
Ein Mann tauchte hinter ihr auf. Er war einen Kopf größer als meine Mutter und jung, wenn er auch bereits schütteres Haar hatte. Seine Augen waren klein und die Arme zu lang für seinen weißen Kittel. Hinter ihm hing ein goldenes Kreuz an der hellgelben Wand.
»Ich bin Dr. Williams, Emma. Du bist im St. Joseph’s Krankenhaus in Atlanta. Du hast einen Unfall gehabt. Woran kannst du dich erinnern? Weißt du, was passiert ist?«
Als ich mich entschlossen aufsetzte, hätte ich vor Schmerzen fast laut aufgeheult. Ich zog die Bettdecke weg und erblickte einen blutigen Verband an meinem Oberschenkel.
»Was ist das?«, fragte ich, während ich den Verband berührte.
»Bleib bitte still liegen. Du hast dich anscheinend bei dem Unfall verletzt. Die Wunde ist tief, sie reicht bis in den subkutanen Muskel. Die Oberschenkelarterie musste auch behandelt werden. Ein Zentimeter mehr und eine Sehne wäre in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Wunde musste mit sechsunddreißig Stichen genäht werden. Du hast Glück gehabt.«
Zum ersten Mal, seit ich aufgewacht bin, kam mir mein Führerschein wieder in den Sinn. Glück. Das sagen Sie. Aber dass ich mich verletzt haben sollte in dem … Oh nein. Der Unfall …
»Sie hat viel Blut verloren. Es ist ein Wunder, dass sie sich noch aufrecht halten konnte.«
»Es … es tut mir leid, Mom«, brachte ich krächzend heraus. »Das mit dem Auto tut mir leid.«
Kopfschüttelnd gab sie mir zu verstehen, dass sie davon nichts hören wollte. »Du ruhst dich jetzt erst einmal aus. Der Arzt sagt, dass du viel Blut verloren hast. Wir haben keine Ahnung, wie du dir die Verletzung zugezogen hast. Die Polizei meint, im Auto war kein Tropfen Blut.«
Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Sie waren rissig und schmerzten.
»Hast du Durst?«, fragte Dr. Williams.
Sie tupften mir die Augen mit einem warmen Tuch ab und ich bekam Eis-Chips zum Lutschen, die mir guttaten.
»Wie bin ich hierhergekommen?«, erkundigte ich mich.
»Woran kannst du dich noch erinnern?«, fragte Dr. Williams abermals.
»Ich weiß es nicht. Ist es … ist es Nacht?«
Zum ersten Mal sah ich mich in dem Raum um. In der Ecke stand ein Stuhl. Darauf lag eine weiße Plastiktüte, aus der mein blutiges Fußballtrikot herausschaute. An einem Metallarm war ein Fernseher angebracht. Ein Doppelfenster mit geschlossenen Jalousien. Dr. Williams ging darauf zu und drehte die Lamellen auf, worauf ein schwaches, gräuliches Licht auf den unteren Teil des Bettes fiel. Auf der Scheibe waren Regentropfen zu sehen.
»Morgen«, sagte er.
»Während der Nacht bist du immer mal wieder kurz aufgewacht, warst aber sofort wieder weg«, fügte meine Mutter hinzu. »Wir haben uns solche Sorgen gemacht.«
»Ich weiß noch, dass es dunkel war … das letzte Spiel … das in dem … mir Gretchen in die Quere gekommen ist und wir zusammengestoßen sind …«
»Aber danach?«, fragte meine Mutter.
»Ich weiß es nicht. Ich kann mich an nichts erinnern. Nur noch daran, dass ich das Auto genommen habe. Danach ist etwas passiert … nachdem ich es in den Graben gefahren habe.«
»Wir glauben, dass du einen zweiten tonisch-klonischen Anfall hattest, Emma«, schaltete sich Dr. Williams wieder ein. »So etwas kann vorkommen …«
»Ich weiß«, antwortete ich.
»Sie hat schon vorher einmal zwei an einem Tag gehabt«, erklärte meine Mutter. »Weißt du noch, Emma, damals mit der Schaukel?«
»Ja, ja.«
»Jedenfalls rührt daher höchstwahrscheinlich deine Erinnerungslücke«, fuhr Dr. Williams fort. »Ein sehr hoher Prozentsatz der Patienten, die solche Anfälle erlitten haben, erleben eine
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