Verleumdung
für lukrative Geschäfte. Seiner Einschätzung nach hatte Afrika ein größeres Wachstumspotential als alle anderen Orte, an denen er bisher von jahrzehntelanger Diktatur, korrupter Entwicklungshilfe und militärischer Intervention profitiert hatte. Aus diesem Grund hatten er und ein halbes Dutzend Strohmänner den heutigen Empfang für eine handverlesene Auswahl von Vertretern staatlicher und Nichtregierungsorganisationen, UN-Mitarbeitern, Offizieren, Botschaftern, Prominenten und der üblichen Herde Hyänen veranstaltet. Sie wollten eine Grundlage für eine private Alternative zur offiziellen International Peace Operations Association schaffen. Hier ließen sich mehr oder weniger offizielle Kontakte etablieren, und wenn es nicht Afrika zugutekam, dann doch immerhin ihnen selbst, und damit letztlich natürlich auch Kevin Love.
»Ist etwas passiert? Sie wirken beunruhigt.«
Kevin Love erkannte den Mann in dem schwarzen Anzug, der sich zu ihm gesellt hatte, nicht sofort. Doch seine glatte Stimme klang schon von weitem nach einem Karrierediplomaten unteren Ranges. Ohne sich zu dem Mann umzudrehen, antwortete Kevin Love: »Etwas ist faul im Staate Dänemark.«
Der andere lächelte verblüfft.
»Shakespeare?«
»Interessiert mich nicht«, entgegnete er lediglich.
Dann lächelte er dem Mann zuvorkommend zu und begleitete ihn zurück zu der Menschenmenge in der Lobby. Nun ging es darum, Kontakte zu knüpfen, Menschen zu kaufen, Geschäfte aufzubauen. Und schon in wenigen Tagen warteten in Kopenhagen ein Geschäft, das er längst hätte abschließen sollen, und ein Mann, der liquidiert werden musste.
Sonntag, 4. Juli
1
B ereits kurz nach Roskilde waren sie auf der Autobahn in einen Stau geraten. Seither hatten sie es lediglich bis zur nächsten Abfahrt geschafft, und jetzt bewegten sie sich kaum noch vorwärts. Nach mehreren Stockungen kam der Verkehr ganz zum Erliegen, und Linnea Kirkegaard sah irritiert von ihrem Blackberry auf. Es war unmöglich einzuschätzen, wie weit sich die Blechlawine nach vorn hin erstreckte. Der Polizeibeamte am Steuer des Fords warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, als sei er persönlich dafür verantwortlich, dass sich der Verkehr auf der Holbæk-Autobahn in den Sommerferien staute.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es sonntags so schlimm ist.«
»Gibt es denn keine Abkürzung?«
Linnea wollte bereits nach dem Navi greifen, um nach alternativen Routen zu suchen, aber ihr Fahrer schüttelte den Kopf. Er zeigte nach rechts, wo die Abfahrt nach Roskilde ebenfalls mit Autos verstopft war, die sich nicht vom Fleck rührten.
»Das kommt aufs selbe raus. Die Landstraße ist zu schmal, und die Autobahn wird nun schon seit Jahren ausgebaut. Die Strecke nach Nykøbing Sjælland ist die reinste Hölle. Wie gut, dass man sich dort oben sowieso kein Ferienhaus leisten kann …«
Linnea nickte resigniert und öffnete das Beifahrerfenster. So konnten sie wenigstens ein bisschen frische Luft schnappen, statt in der Nachmittagssonne zu schmoren. Der Polizist hieß Boserup, mehr wusste sie nicht über ihn. Sie war ihm heute zum ersten Mal begegnet, als er sie in Kopenhagen am Panum Institut abgeholt hatte. Sie war schon wieder für den Wochenenddienst am Rechtsmedizinischen Institut eingeteilt gewesen und hatte exakt neunzehn Minuten, bevor sich Boserup pflichtschuldig auf dem Parkplatz am Fælledvej einfand, vom bevorstehenden Einsatz erfahren. Ein Kommissar der mobilen Einheit der Kriminalpolizei hatte sie in der Abteilung für Forensische Anthropologie angerufen, um ihr mitzuteilen, dass man irgendwo im Westen von Seeland eine Leiche gefunden hatte. Viel mehr wusste er nicht, oder er wollte es ihr nicht erzählen. Sie kannte ihn nicht, aber es war deutlich, dass er genau wusste, wer sie war.
»Wir haben einen Mann geschickt, um Sie abzuholen«, hatte er ihr am Telefon gesagt. »Bitte stehen Sie in zwanzig Minuten bereit.«
Linnea hatte die Stirn gerunzelt.
»Wir sind hier nicht im Selbstbedienungsladen! Ich habe heute als Einzige Dienst. Warum können Sie den Toten nicht einfach mit dem Knochenexpress hierherbringen lassen? Soweit ich weiß, ist das das Standardverfahren.«
Möglicherweise war ihr Tonfall etwas zu scharf gewesen. Aber die Aussicht, weniger als zwei Stunden vor Schichtende in irgendein Provinznest kutschiert zu werden, war alles andere als verlockend. Sie hatte gerade darauf spekuliert, dass sie diesen ungewöhnlich friedlichen Sommersonntag nutzen konnte, endlich
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