Meagan McKinney
Kapitel 1
Juni 1875
Es war eine unsaubere Hinrichtung gewesen.
Und wenn es etwas gab, das
Doc Amoss wirklich verabscheute, dann war es eine schlechte Hinrichtung.
Er überblickte die sieben in weiße Tücher eingewickelten Leichen, die in
seinem kleinen Zimmer auf dem Boden lagen. Selbst diese Männer, die einst die berüchtigte
Dover Gang darstellten, hatten den Respekt eines kurzen, schmerzlosen
Genickbruchs durch den Strang und eine schnelle Beförderung zur Hölle verdient.
Sie aber waren unsauber gehenkt worden. Jedenfalls war ihr Tod nicht schnell
gewesen.
Der Doc
schüttelte den Kopf, schob seine Brille hoch und machte sich wieder an die
Arbeit. Er hatte schon den ganzen Tag mit der Dover Gang zugebracht. Zuerst
hatte er zugesehen, wie sie gehenkt wurden, einer nach dem anderen, bis ihre
Leichen von den Galgen reglos und feierlich im durch Pferde aufgewirbelten
Staub herabhingen. Danach hatte er geholfen, sie herunterzuschneiden und sie in
seine Arbeitsräume zu verfrachten. Landon war eine kleine Stadt und besaß
keinen Totengräber, also war es die Aufgabe des Arztes, die Leichen für das
Begräbnis vorzubereiten. Er hatte den ganzen Nachmittag gebraucht,
fünf von ihnen in die Tücher zu wickeln. Jetzt kam Nummer sechs an die Reihe.
Doc zielte
auf den Spucknapf, verfehlte ihn und hinterließ einen kleinen Krater im Staub
der nackten Bodendielen. Er sah unter seinem Geschäftsschild > Haareschneiden,
Baden und Rasieren, 10 Cents – schnelle Behandlungen < hindurch zum
Ausgang des Städtchens, wo sieben Männer sieben Gräber in der anonymen, braunen
Erde des flachen Niemandslandes aushoben.
Die
Schatten in seinem Büro wurden dunkler. Es war schon spät. Er zog dem sechsten
Mann die Stiefel aus und untersuchte seine Mundhöhle, für den Fall, daß der
Kerl einen Elfenbeinzahn besaß, den die Stadt verkaufen konnte, um die
Hinrichtung zu bezahlen. Doc wickelte ihn ein, dann strich er den Namen auf
der Liste aus.
Nun konnte
er es nicht mehr länger hinauszögern. Er mußte sich um den letzten Mann
kümmern. Den siebten und den übelsten.
Macaulay
Cain. Allein die Nennung dieses Namens schickte Doc Amoss einen kalten Schauder
über den Rücken. Er hatte den Namen auf genügend Wanted- Plakaten
gesehen, um ihn vorwärts und rückwärts buchstabieren 'zu können. Er hatte sich
immer gewünscht, niemals etwas mit diesem berüchtigten Revolverhelden und
seinesgleichen zu tun haben zu müssen. Gott und sein Sinn für Gerechtigkeit!
Einmal ging die Hinrichtung schief, und dann traf es Macaulay Cain.
Widerwillig
sah Doc zu der siebten Gestalt unter dem weißen Tuch hinüber. In seinem ganzen
Leben hatte er noch nie einen Mann gesehen, der soviel Schwierigkeiten machte,
auf ein Pferd gesetzt zu werden und sich die Schlinge um den Hals legen zu
lassen. Der Sheriff hatte all seine Männer einsetzen müssen. und selbst als
Cains Gesicht am Ende schon durch die schwarze Kapuze verhüllt gewesen war und
die Männer bereit waren. dem Pferd die Peitsche zu geben. hatte er noch
gekämpft und verlangt. daß sie auf das Telegramm warteten. das ihn freisprechen
würde.
Das
Telegramm. das niemals kam.
»Verfluchter Mist.« Doc
verabscheute unsaubere Hinrichtungen. Es konnte einem schon den Magen
umdrehen. wenn man an das steigende Pferd dachte und an Cain. der am Strick
zappelte und sich wand, ohne daß ein Genickbruch ihn erlöste. Als schließlich
alles vorbei war. hatten die Hilfssheriffs Cain in Docs Haus gebracht. Sie
hatten die Fesseln seiner Hände zerschnitten und über seiner Brust in der Art
der Geistlichen das Kreuz geschlagen. Doch Doc war derjenige, der ihm die schwarze
Kapuze vom Kopf ziehen mußte. Kein anderer hätte es getan. Wenn beim Henken
unsaubere Arbeit geleistet wurde. hing die Zunge des Verurteilten heraus und
der Gesichtsausdruck war zu einer Maske puren Entsetzens verzerrt. weil der
arme Bastard verzweifelt nach Luft schnappte. während sich das Seil um seinen
Hals zuzog. Die Hilfssheriffs zuckten sichtlich zusammen. als Doc die Kapuze
entfernte, weil sie sich vor dem Anblick fürchteten. Doch bevor das weiße Tuch
über Cains Kopf gezogen wurde, konnten sie alle erleichtert aufatmen: Die Miene
des Toten unter den struppigen Bartstoppeln war friedlich und gelöst.
Resigniert
ging Doc zu dem letzten Körper hinüber. Der Sheriff würde bald kommen,
um die Bande zu ihren Gräbern zu bringen. Er mußte sich beeilen.
Er bückte
sich, um den Strick aufzuheben, der das Leichentuch zusammenbinden
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