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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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sich, den Sturz zu beobachten, bis der Typ einige Sekunden vor dem Aufprall von seiner Bungeejacke gerettet wurde. Er federte einige Male auf und ab und lachte, dann wurde er sanft auf dem Boden abgesetzt, so dicht bei Tally, dass sie hören konnte, wie ein nervöser Schluckauf sein Kichern durchbrach. Er hatte sich ebenso gefürchtet wie Tally.
      Sie zitterte, obwohl so ein Sprung kaum gefährlicher war, als hier zwischen den hohen Türmen zu stehen. Eine Bungeejacke hatte die gleichen Hubkräfte wie die Pfeiler, die die dünnen Türme trugen. Wenn das viele schöne Spielzeug jemals aus irgendeinem Grund seine Funktion einstellte, würde alles in New Pretty Town zusammenbrechen.
      Im Haus wimmelte es nur so von nagelneuen Pretties - der schlimmsten Sorte, wie Peris immer behauptet hatte. Sie lebten wie Uglies, an die hundert in einem riesigen Wohnheim. In diesem Wohnheim aber gab es keine Vorschriften. Höchstens vielleicht: "Benimm dich bescheuert, hab Spaß und mach Krach." Eine Gruppe von Mädchen in Ballkleidern stand auf dem Dach, kreischte aus voller Kehle, balancierte am Rand entlang und beschoss die Leute unten auf dem Gelände mit Sicherheitsfeuerwerk. Ein orangefarbener Feuerball klatschte neben Tally auf, kühl wie ein Herbstwind vertrieb er die Dunkelheit, die sie bisher umgeben hatte.
      "He, da unten ist ein Schwein!", schrie jemand. Alle lachten und Tally ging noch schneller auf die weit offene Eingangstür zu. Sie drängte sich hinein und ignorierte die überraschten Blicke von zwei Pretties, die gerade das Haus verließen.
      Alles hier war eine einzige riesige Party, so, wie man es ihnen immer versprochen hatte. An diesem Abend hatten die Gäste sich fein gemacht, sie trugen Ballkleider und schwarze Anzüge mit langen Frackschößen. Alle schienen Tallys Schweinemaske lustig zu finden. Sie zeigten darauf und lachten, und Tally lief schnell weiter, bevor sie auf andere Ideen kamen. Natürlich lachten hier immer alle. Es gab niemals Handgreiflichkeiten oder auch nur Streit wie bei den Festen der Uglies.
      Tally drängte sich von Zimmer zu Zimmer und versuchte die Gesichter auszumachen, ohne sich von den großen hübschen Augen ablenken zu lassen oder von dem Gefühl überwältigt zu werden, dass sie nicht hierher gehörte. Sie kam sich mit jeder Sekunde hässlicher vor. Dass alle, denen sie begegnete, über sie lachten, war auch kein Trost. Aber es war doch besser als das, was sie tun würden, wenn sie ihr echtes Gesicht entdeckten.
      Tally überlegte, ob sie Peris wohl erkennen würde. Sie hatte ihn seit der Operation nur einmal gesehen und da war er gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden und die Schwellungen waren noch nicht zurückgegangen. Aber sie kannte sein Gesicht so gut. Und egal, was Peris immer behauptet hatte, die Pretties sahen nicht alle genau gleich aus. Auf ihren heimlichen Ausflügen hatten Peris und sie manchmal Pretties entdeckt, die ihnen vertraut vorkamen, wie Uglies, die sie früher gekannt hatten. Es war eine Ähnlichkeit wie die von Geschwistern - wie die von älteren, selbstbewussteren, sehr viel hübscheren Brüdern oder Schwestern. Von Geschwistern, auf die man sein ganzes Leben lang neidisch gewesen wäre, wenn man hundert Jahre früher gelebt hätte.
      So sehr konnte Peris sich nicht verändert haben.
            ***
      "Habt ihr das Schweinchen gesehen?"
      "Das was?"
      "Hier läuft ein Schweinchen durch die Gegend!"
      Die kichernden Stimmen kamen aus dem unter ihr liegenden Stock. Tally blieb stehen und lauschte. Sie stand ganz allein hier auf der Treppe. Offenbar zogen die Pretties den Fahrstuhl vor. "Wie kann sie es wagen, als Schwein auf unsere Party zu kommen! Hier ist doch Abendkleidung vorgeschrieben."
      "Sie hat die falsche Party erwischt."
      "Sie hat keine Manieren, wenn sie so rumläuft."
      Tally schluckte. Die Maske war nicht viel besser als ihr eigenes Gesicht. Und der Witz war langsam nicht mehr komisch.
      Sie rannte die Treppe hoch und ließ die Stimmen hinter sich zurück. Vielleicht würden sie sie vergessen, wenn sie sich einfach immer weiter bewegte. Es gab nur noch zwei Stockwerke und dann das Dach. Und Peris musste ja schließlich irgendwo sein.
      Falls er nicht auf dem Platz hinter dem Haus war oder mit einem Ballon unterwegs oder in einem Partyturm. Oder irgendwo in einem Vergnügungspark, mit jemandem zusammen. Tally verdrängte diese letzte Vorstellung und rannte über den Gang. Sie achtete nicht auf die

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