Verlorene Jugend - Tagebuch eines Soldaten (German Edition)
noch immer darin, daß ich überall einen vernünftigen Grund suche, daß ich alles zuerst genau überlege? Auch mag die Angst vor der Täuschung und dem Zufall dabei mitspielen. Ist es nachher für mich doch bitter (weil ich eitel bin), den Irrtum mir selbst einzugestehen und ihn erst wiedergutzumachen.
„Leiste“ ich etwas bei mir nicht Alltägliches, so halte ich es für Zufall, für unüberlegte Selbstüberwindung, (denn nicht alles, wozu man sich überwinden muss, ist gut). Selten nur höre ich die befehlende, innere Stimme, die mir durch das Gefühl sagt, daß ich richtig handeln werde.
Lambach, 2. Mai 42
Wieder einen ganzen Tag mit Nichtstun verblödelt. Der Versuch, mit Ernst über für mich vernünftige Dinge zu sprechen, ließ, nach Einsehen der Aussichtslosigkeit dessen, den Entschluss reifen, es in Hinkunft bleiben zu lassen.
Dann merkte ich, daß mir irgend etwas fehle. Natürlich dachte ich Tor sofort an die Liebe, weil ich einen Tag keine von beiden, die in Frage kämen, gesehen habe. Es ist besser, wenn ich sie nicht sehe, um zu verhindern, mich zu verlieben, was mir die Vernunft zu verhindern gebietet. Das anfängliche Sehnen, wirst du entweder unterdrücken, wenn es nicht, absolut nicht(!) geht, dann bist du wirklich verliebt. Es ist aber wahrscheinlicher, daß mir der Mensch fehlt, mit dem ich über fruchtbarere Dinge reden kann. Sollte Anni? Freundschaft kann ich ihr nicht anbieten. Würde ich zu ihr kameradschaftlich bleiben, wenn sie mit Kurtl endete? Dies scheint mir unsicher.
Sicher aber ist, daß ich das Mädchen zuerst nicht lieben darf, in dem ich Seelenverwandtschaft suche, wenn es keine geeigneten männlichen Objekte dazu geben sollte.
Wird in späteren Jahren deine Empfindlichkeit, deine strenge Ehrauffassung, das mangelnde Selbstvertrauen, einmal der Natürlichkeit oder Robustheit, wie es die anderen nennen würden, weichen?
Lambach, 5. Mai 1942
Meine höchsten Ideale musste ich bereits fallen lassen, da die geistige Regsamkeit sich in Trägheit verwandelt hat. Eine andere Möglichkeit, den Grund hierfür zu finden, mag darin liegen, daß ich nicht mehr in die Schule gehe. Diese Erniedrigung geht soweit, daß ich mich als unter allen Mitmenschen stehend wähne. So muss denn mein Streben danach trachten, mich zu einem ganzen Mann zu machen, der einen einwandfreien Charakter besitzt. Sich selbst dazu zu bringen, ist aber gar nicht so leicht, weil dazu ein starker Wille und viel Selbstvertrauen nötig sind, die ich mir wahrscheinlich auch nicht zu eigen nennen darf.
Lambach, 7. Mai 42
Verdammt! Beinahe will es mir scheinen, als ob ich mich wirklich wieder verliebt hätte! Aber ich will mir vornehmen, mich mit nicht ernst zu nehmenden Liebschaften nicht abzugeben. Übers Kind sind wir doch schon hinaus, ganz abgesehen davon, daß sentimentale Gefühle deiner Entwicklung nicht gerade von Nutzen sein können. Und müsstest Du dadurch dein ganzes Gefühl abtöten.
Die Eröffnung, daß ich am 15. Mai 1942 einrücken muss, hat Mitzi zwar ziemlich überrascht, sonst konnte ich aber nichts merken. Diese paar Tage wirst du auch noch schweigen können. Später dann, wenn es keine Abschiedsschmerzen mehr zu überwinden gibt, ist es immer noch Zeit.
Goslar, 15.V.42
Mein erster Tag im SS Lager. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, ein ganzer Soldat zu werden, denn daß man mich zu einem ganzen macht, habe ich schon gesehen. Jetzt verlache ich meine wechselnden Gefühle, die mich vor meiner Einberufung gefangen hielten. Einmal gespannt oder neugierig auf das neue Leben, ein andermal das scheinbar schmerzliche Gefühl des Verlierens des alten Lebens. Dann wieder von den patriotischen Gedanken beseelt, um etwas später daran zu denken, dass ich vieles, das mir lieb geworden war, nun längere Zeit nicht mehr sehen soll. Reizte es mich aber nicht auch, dass die Leute sagen würden, „nun ist auch der schon weg, um seine Pflicht für das Vaterland zu tun“?
Nun bin ich schon 5 Tage hier. Ich habe mich noch nicht ganz eingewöhnt, äußerlich wohl, mehr vielleicht, als die anderen. Noch kann ich es aber noch nicht ganz glauben, hier für längere Zeit „zuhause“ zu
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