Verlorene Jugend - Tagebuch eines Soldaten (German Edition)
Gaspoltshofen; da war am Samstag sogar Firmung, wurden so an die 300 Kinder gefirmt.
Neues kann ich Dir leider nicht schreiben, da ich ja schon seit 3 Wochen nicht zu Hause bin.
Dir, nochmals alles Gute und von mir extra noch recht, recht viele Bussis.
Deine Schwester Mitzl und Hannelore
O.U., den 14.XII.1944
Liebste Mutter!
Dank Dir recht schön für Deinen lieben Brief.
Ja Mutter, Du hast recht, in letzter Zeit verstehen wir uns sehr gut, aber früher – heute kann ich es selbst nicht begreifen, wie ich mich manchmal so benehmen konnte. Ich war ganz anders als Toni und Fredl, nicht so gerade und natürlich, sondern furchtbar empfindlich und rechthaberisch. Daß ich aber zu Dir so wenig herzlich war, kann ich mir auch nicht erklären. Es war aber eher Schüchternheit als Trotz. Oft habe ich heute noch gegen Dinge anzukämpfen, die anderen eine Selbstverständlichkeit bedeuten. Diese Einsicht schafft in mir dann ein Minderwertigkeitsgefühl. Wenn ich dann sehe, wie andere sich leicht tun bei irgendwelchen Aufgaben und ich mich immer wieder überwinden muss.
Mutti, ich danke Dir auch recht schön für das Weihnachtsgeschenk, es ist nur schade, daß ich es nicht sehen kann. Weißt Du, Mutter, es wäre schön, wieder einmal Weihnachten zuhause zu sein, die stille Feierlichkeit dieser Tage zu genießen mit den Meinen. Und wenn dann die Herzen ruhiger schlagen, dann kommt die Traurigkeit. Mutter, lass nicht den Kummer Dein Herz zernagen, Du hast ja uns noch, und wir sind dann bei Dir.
In Liebe
Dein Herbert
Kommentar:
(Herausgeberin)
Herbert ist ein innerlich zerrissener junger Mensch, mit einer ausgeprägten Schüchternheit, der viel mit sich selbst ringt, um den damals vorherrschenden Idealen und Manipulationen (ein starker, „deutscher“ Mann und Held zu sein, der für sein Vaterland kämpft) zu entsprechen.
Es wird auch ersichtlich, dass Herbert noch sehr unreif ist, da er viel von verschiedenen Frauen und von der großen Liebe schreibt. Obwohl er sich mitten im Krieg als Soldat befindet, ist für ihn die Liebe und das Träumen davon das Wichtigste.
Auch träumt er viel von einer zukünftigen Frau und einer beruflichen Zukunft – eine Zukunft, die er – seine Brüder – und viele Millionen andere, nicht haben werden.
Diese Tagebuchaufzeichnungen und Briefe schildern auf authentische und bewegende Art die Erlebnisse eines Jugendlichen (und seiner Brüder während des 2. Weltkriegs – die als junge Soldaten gefallen sind) vor dem Hintergrund weltgeschichtlicher Ereignisse.
Da es bald keine Zeitzeugen dieser Geschehnisse mehr gibt, die unmittelbar und persönlich davon berichten können, ist es umso wichtiger, dass ihre Zeugnisse aufgezeichnet werden. Schließlich sind es Texte von historischem Wert.
Dieses damalige Regime war unmenschlich und vielen Menschen wurde ein falsches Ideal (Rassenwahn, übersteigerter Nationalismus etc.) eingebläut. Ein sinnloser Krieg, mit Millionen Opfern auf jeder Seite (Juden, KZ-Insassen, Zivilisten, Soldaten etc.).
Leider, hat sich bis heute nicht viel geändert, noch immer werden Kriege, unter verschiedenen Vorwänden geführt. Jede(r) Tote ist eine(r) zuviel.
Es ist zu hoffen, dass Herbert, Toni und Fredl und alle in einem Krieg umgekommenen Menschen nicht umsonst gestorben sind. Dass es irgendwann in der Zukunft eine Erde ohne Krieg, Hunger, Folter, Verfolgung und Unmenschlichkeit gibt.
Lambach, 10. November 2010
Ute Windhab
Hinten: Toni, vorne von li nach re: Herbert, Otti, Fredl
Herbert
Herbert, Toni, Otti
links: Leopoldine, Hannelore, Mitzi
rechts: Mutter, Otti (nach dem Krieg)
Familienaufstellung
Leopoldine Hintersteininger
geb. Kemptner
(1897 – 1980)
Maria „Mitzl“ Kemptner Anton „Toni“ Herbert Alfred „Fredl“ Othmar „Otti“
(1916 – 1996) (10.9.1922 - (28.5.1924 - (16.8.1925 - (1932 -1997)
18.8.1942) 18.1.1945)
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