Verrat und Verführung
Visionen, die ihn – vermischt mit der Realität des erlebten Liebesakts – gnadenlos peinigten, seit er Christina an jenem Tag in der Höhle unterhalb von Oakbridge verlassen hatte. Aber jetzt, sosehr es ihn auch zu einem leidenschaftlichen, fordernden Kuss drängte und obwohl er die Anwesenden vergessen wollte – er erinnerte sich, dass er ein Gentleman war. Noch nie war es ihm so schwergefallen, darauf zu achten. Trotzdem – als Christinas Lippen unter der ersten federleichten Berührung seiner Zungenspitze bebten, gelang es ihm irgendwie, sie loszulassen.
Er ergriff wieder ihre Hand, drehte sie zu ihrer Familie herum und flüsterte ihr ins Ohr: „Komm, alle wollen uns gratulieren. Später werden wir noch genug Zeit für Küsse finden.“
Endlich vermochte sie wieder etwas freier zu atmen. Ihre Lippen brannten von dem Kuss, ihr Herz hämmerte immer noch schmerzhaft gegen die Rippen. Aber sie brachte ein zitterndes Lächeln zustande, als sie Williams, Tante Celias und Mirandas Glückwünsche entgegennahm.
Danach wurde der Hochzeitsempfang in Celias Haus abgehalten. Hier würde das junge Paar wohnen, bevor es William und Miranda in ein paar Tagen nach Oakbridge begleiten würde.
Widerwillig lauschte Christina den Gratulationen. Von allen Seiten stürmten Lobeshymnen auf sie ein, die ihrem neuen Ehemann galten. Fröhliches Gelächter erklang, Gläser klirrten, Trinksprüche wurden ausgesprochen. Ärgerlich beobachtete sie die Ereignisse. Alle Herzen schien Simon zu gewinnen – nur ihr eigenes nicht. In wachsendem Unbehagen dachte sie an die Hochzeitsnacht, und sie war versucht, ihr Zimmer schon frühzeitig aufzusuchen und sich schlafend zu stellen.
Warum fürchtete sie sich so sehr? Welche Frau wollte nicht mit Simon Rockley ins Bett sinken? Von Anfang an hatte sie ihn attraktiv gefunden, war seinem Charme erlegen und letzten Endes in seinen Armen dahingeschmolzen, obwohl er sie voller Zorn genommen hatte.
In der Hochzeitsnacht sollte sich die Braut rückhaltlos hingeben. Doch Hingabe wollte sie ihm nicht gewähren, obwohl sie sich ihm bereits einmal hingegeben hatte. Aber wie konnte sie sich diesem Mann unterwerfen, der sie so unerbittlich zur Heirat gezwungen hatte?
Während der ganzen Feier beobachtete Simon seine junge Braut. Nur selten unterhielt sie sich mit den Gästen und blieb zumeist im Hintergrund, als hoffte sie, er würde sie nicht bemerken.
Wusste sie denn nicht, dass er alles an ihr wahrnahm? Die Liebe, die sie in ihm geweckt hatte, hatte er noch für keine andere Frau empfunden. Er wünschte, diese Gefühle würde sie erwidern. Doch ihre Angst, ihre Zweifel und ihr Misstrauen waren zu stark, und er wusste, es würde ihn einige Mühe kosten, diese Hindernisse zu überwinden.
Schließlich fanden die Festivitäten ein Ende, und die Gäste verließen das Haus. Langsam erloschen die Kaminfeuer, die Kerzen wurden ausgeblasen. Während Christina nach oben ging, blieb Simon im Salon sitzen und trank noch einen Brandy. Seine ganze Selbstkontrolle musste er aufbieten, um ihr Zeit zu geben, damit sie sich ungestört auf das Ehebett vorbereiten konnte. Nach einer Weile stellte er sein Glas beiseite und stand auf.
Allein in ihrem Schlafzimmer, wartete Christina auf ihren Gemahl. Ihr Entschluss stand fest – in dieser Nacht würde sie seine Lust nicht stillen. Nachdem er verkündet hatte, in einer Ehe müssten Mann und Frau einander respektieren, sollte er ihren Respekt erst einmal verdienen. Über ihrem dünnen weißen Nachthemd trug sie einen Morgenmantel aus dickem Samt – wie eine Rüstung auf dem Schlachtfeld.
Allzu lange musste sie nicht auf Simon warten. Ohne anzuklopfen, betrat er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er hatte nicht vermutet, er würde sie im Bett antreffen. Und darin lag sie auch nicht. Stattdessen saß sie in einem wuchtigen Lehnstuhl vor dem Feuer und betrachtete ihn mit ausdruckslosem Blick.
Langsam ging er zu ihr. Ihr Anblick im flackernden Widerschein der Kerzen nahm ihm fast den Atem. In weichen, glänzenden Locken fiel ihr Haar über die schmalen Schultern. So hinreißend sah sie aus. Sein Blick glich einer Liebkosung und erzeugte einen rosigen Schimmer auf ihren Wangen, einer Farbe, die zu dem Samt ihres Morgenmantels passte.
„Wie schön, dass du noch nicht schläfst“, bemerkte er, blieb vor ihr stehen und musterte ihr Gesicht.
„Eigentlich habe ich mit diesem Gedanken gespielt.“
Seine Miene verhärtete sich. „Und was hat dich daran
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