Das 6. Buch des Blutes - 6
Clive Barker wurde 1952 in Liverpool geboren, studierte dort Philosophie und begann zunächst zu malen. Seine ersten schriftstellerischen Werke sind Theaterstücke in der Grand-Guignol-Tradition, denen bald Drehbücher, Kurzgeschichten und Romane folgten. Inzwischen hat sich Barker, der 1985 mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet wurde, auch als Filmregisseur eigener Stoffe etabliert.
Von Clive Barker sind außerdem erschienen:
»Spiel des Verderbens« (Band 1800)
»Das erste Buch des Blutes« (Band 1830)
»Das zweite Buch des Blutes« (Band 1834)
»Das dritte Buch des Blutes« (Band 1840)
»Das vierte Buch des Blutes« (Band 1849)
»Das fünfte Buch des Blutes« (Band 1850)
Deutsche Erstausgabe Juni 1991
© 1991 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München Titel der Originalausgabe »Clive Barker’s Books of Blood Vol. VI «
© 1984 Clive Barker Umschlaggestaltung Charlie Dengler, München Umschlagfoto Charlie Dengler/A. Ries Druck und Bindung Ebner Ulm Printed in Germany 54321
ISBN 3-426-01851-9
scanned by Mathaswintha corrected by Doc Gonzo
Clive Barker:
Das sechste Buch des Blutes Roman Aus dem Englischen von Joachim Körber
Dieses E-Book ist nicht für den Verkauf bestimmt.
Blutbücher sind wir Leiber alle;
wo man uns aufschlägt: lesbar rot.
Für Dave
Die Zeitung war die erste Ausgabe des Tages, und Elaine verschlang sie von Anfang bis Ende, während sie im Wartezimmer des Krankenhauses saß. Ein Tier, das man für einen Panther gehalten und das zwei Monate lang die Gegend um Epping Forest terrorisiert hatte, war erschossen worden und hatte sich als wilder Hund entpuppt. Archäologen hatten im Sudan Bruchstücke von Knochen gefunden, die ihrer Meinung nach dazu führen konnten, daß man den Ursprung der Menschheit in völlig neuem Licht sehen mußte. Eine junge Frau, die einmal mit einem weniger bedeutenden Mitglied der königlichen Familie getanzt hatte, war in der Nähe von Clapham ermordet aufgefunden worden; ein Yachtkapitän, der alleine um die Welt segelte, wurde vermißt; die vor kurzem geweckten Hoffnungen auf ein Heilmittel gegen den Schnupfen hatten sich zerschlagen. Elaine las die Nachrichten aus aller Welt ebenso begeistert wie den Klatsch – wenn es nur ihre Gedanken von der bevorstehenden Untersuchung ablenkte –, doch die Neuigkeiten von heute schienen ganz wie die von gestern zu sein; nur die Namen waren geändert worden.
Doktor Sennett teilte ihr mit, daß ihre Genesung, innerlich wie äußerlich, gute Fortschritte mache und sie ihre Verpflichtungen wieder voll übernehmen könne, wann immer sie sich psychisch dazu imstande fühlte. Sie solle sich in der ersten Woche des neuen Jahres einen weiteren Termin geben lassen und dann zur abschließenden Untersuchung kommen. Als sie ihn verließ, wusch er sie von den Händen ab.
Nachdem sie so lange gesessen und gewartet hatte, war ihr die Vorstellung, direkt zum Bus zu gehen und in ihre Wohnung zurückzukehren, zuwider. Sie beschloß, ein oder zwei Haltestellen zu Fuß zu gehen. Die Bewegung würde ihr guttun, und der Dezembertag war zwar alles anderes als warm, aber klar.
Doch ihre Pläne erwiesen sich als zu ehrgeizig. Sie war erst wenige Minuten gegangen, als ihr Unterleib anfing zu schmerzen und sie Übelkeit spürte, daher bog sie von der Hauptstraße ab und suchte nach einem Lokal, wo sie ausruhen und Tee trinken konnte. Sie wußte, sie sollte auch etwas essen, aber sie hatte nie großen Appetit gehabt, und seit der Operation hatte sie noch weniger. Ihr Wandern wurde belohnt. Sie fand ein kleines Restaurant, das, obwohl es zwölf Uhr fünfundfünfzig war, kein überwältigendes Mittagsgeschäft machte. Eine kleine Frau mit schamlos gefärbtem rotem Haar servierte ihr Tee und ein Pilzomelette. Sie gab sich größte Mühe, es zu essen, kam aber nicht sehr weit. Die Kellnerin war eindeutig beunruhigt.
»Stimmt etwas mit dem Essen nicht?« fragte sie prüfend.
»O nein«, versicherte ihr Elaine. »Nur mit mir.«
Die Kellnerin sah dennoch beleidigt aus.
Elaine schob den Teller von sich weg und hoffte, die Kellnerin würde ihn bald mitnehmen. Der Anblick des Essens, das auf dem einfarbigen Teller kalt wurde, trug nicht gerade zur Verbesserung ihrer Stimmung bei. Sie haßte diese Empfindlichkeit, die immer ungerufen auftauchte. Es war absurd, daß ein Teller nicht aufgegessener Eier diese Niedergeschlagenheit herbeiführte, aber sie konnte nichts dagegen machen. Überall fand sie kleine Echos ihres eigenen
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