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Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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ganzen Gewicht auf ihn. Er hob fragend die Augenbrauen und sah zu dem rosa Licht über der Tür, während sie den Kopf hin und her drehte wie ein Automat. Sie biß sich auf die Unterlippe und drückte ihn plötzlich an sich. Was soll's! dachte er und fühlte sich mehr und mehr wie ein Haufen nasser Sand. Im nächsten Augenblick preßte sie die Lippen an sein Ohr, und er spürte ihren heißen Atem. »Laß es uns hier machen«, murmelte sie, drückte ihn gegen das Treppengeländer und zog mit einer zuckenden, erschauernden Bewegung ihr Kleid hoch.
     Er wußte nicht, wo er war, nur daß es irgendwo im Norden von Manhattan war. Er hatte großen Hunger, und sein Kopf war noch ganz benebelt. Die Kälte wirkte jedoch wie ein Eisbeutel. Er sah eine Million Lichter – sie blendeten ihn und machten ihn schwindlig. Sie waren erst klein und wurden dann größer und stürzten auf ihn zu. Die Farben waren wild und gefährlich. Sie schossen auf ihn zu wie ein Schwarm Signalflaggen.
     Eine Eisschicht, nicht dicker als ein Fingerring, bedeckte den Asphalt. Es war ein Spiegel, gebrochen zu einem Meer aus Lichtwellen, ein Spiegel, in dem alle Farben des Regenbogens leuchteten und tanzten. Ein Theater ragte auf; die Eingangshalle hatte einen Schwindelanfall. Es war keine Eingangshalle, sondern ein riesiger erleuchteter Trichter, der sich mit hoher Geschwindigkeit drehte; in dieses wirre Glaslabyrinth schoben sich wogend lange Schlangen von Menschen, wie gewaltige Wellen, die ihre schaumigen Kämme auf den Strand eines Sunds werfen. Nach jedem krachenden Ansturm zogen sie sich rasch strudelnd zurück, sammelten sich wieder und wurden zu einer neuen Säule, die wieder ihre bebende, zischende Masse emporschleuderte und sich in wirbelnden Lichtwürfeln brach… Im Fenster eines Drugstores sah er eine Reihe von Telephonzellen. Sie standen dort, damit die Leute telephonierten. »Ich möchte Hildred sprechen«, sagte er, als sich im »Caravan« jemand meldete. »Sie ist nicht da«, sagte eine barsche Stimme. Klack! Der Hörer klickte wie eine Pistole. Er hämmerte auf die Gabel. »Hallo! Hallo!« Er hörte ein Summen wie das, welches ferne Planeten auf ihrer Bahn durch das mit Äther ausgepolsterte Weltall von sich gaben. Hat keinen Zweck, sagte er sich, wir sind auf verschiedenen Umlaufbahnen. Die Welt war nichts weiter als ein blindes Energiefeld, in dem Mikrokosmos und Makrokosmos den Launen eines irren Königs unterworfen waren.
     Als er den Times Square erreichte, war er trunken von Wohlbefinden. Er spürte das Fluten des hellen, flüssigen Blutes in seinen Adern. Im Rhythmus eines Aufwerfhammers kam und ging es, weitete sein Herz, beflügelte seine Vorstellungskraft, schoß durch seine pulsierenden Glieder. Helles, rotes, flüssiges Blut – im Stadium der Euphorie machte es die Menschen weise, hellsichtig, gesund; verdünnt führte es zu Schlaffheit, Neurosen, Verzweiflung und Melancholie; verdickt erzeugte es die sternartigen Phänomene des Solipsismus, die Schrecken von Epilepsie und Chorea, die Hierarchien des Kastenwesens, die bodenlosen Abgründe des Wahnsinns. Ein einziges rotes Blutkörperchen enthielt genug Wunder, um sämtliche Wissenschaftler der Welt sprachlos zu machen. Mit Blut wurde man geboren, und mit Blut starb man. Blut war stark, fruchtbar, magisch. Blut war eine Ekstase von Schmerz und Schönheit, ein Wunder an kreativer Zerstörung, vielleicht sogar die Essenz der Zerstörung. Wo Blut floß, war das Leben stark. Wo gesungen wurde, war Blut, wo angebetet wurde, war Blut. Blut war im Sonnenuntergang, in den Blumen des Feldes, in den Augen von Verrückten und Propheten, im Feuer kostbarer Edelsteine. Überall, wo es Leben und Gesang und Trunkenheit und Gottesdienst und Triumph gab, gab es Blut.
     In diesem blutigen Überschwang baute er sich gegenüber dem »Caravan« auf. Es war gegen Mitternacht. Gruppen von Müßiggängern standen am Geländer vor dem Lokal, angezogen durch die Ausbrüche von Ausgelassenheit, die durch die offenen Fenster nach draußen drangen. Kurz darauf stand er selbst ebenfalls dort. Das Vorrecht, dieses Spektakel von außen betrachten zu dürfen, gab ihm ein eigenartiges Hochgefühl.
     Immer wenn Hildred einen interessanten Menschen entdeckt hatte, führte sie ihn zu einer kleinen Nische in der Ecke, nahe am Fenster. Dort saß sie dann, mit weit vorgeschobenen Ellbogen, und starrte voller Bewunderung in die Augen desjenigen, der für eine gewisse Zeit Gegenstand ihrer Faszination war.

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