Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
tatsächlich nicht mehr so genau, was er eigentlich tat.
     Die anderen sahen jetzt zu ihnen her. Hildred machte ihre Hand frei.
     »Na gut«, sagte er, »sprechen wir später darüber. Aber« – er zog sie ein Stück weiter weg – »soviel sage ich dir jetzt schon: Ganz gleich, was du sagst – so etwas wird nie mehr vorkommen. Nie, hast du mich verstanden?« Er drehte sich um und ging eilig davon.
     Sie sah ihm nach, während er sich mit schnellen, wütenden Schritten entfernte. Ein tiefes Rot färbte ihre Wangen. Das helle Licht tat ihren Augen weh. Sie haßte das Sonnenlicht… sie haßte es… sie haßte es.
     Im Weggehen war Tony Bring von Bitterkeit und Ekel erfüllt. Ihm fiel ein, wie die Frau namens Toots auf Hildred zugegangen war und sie auf den Mund geküßt hatte. Und am Abend zuvor, hatte sie erzählt, hatten sie und Ebba ein Spielchen für einen alten Bock abgezogen, einen reichen, abgestumpften Idioten mit einem eigenartigen Interesse an eigenartigen Dingen. Und dann waren da Willie Hyslops gelbe Zähne gewesen und sein geschmeidiges Schnurrbärtchen, das noch im Wachsen begriffen war und sein weibisches Wesen nur unterstrich. Sie hatten allesamt schmutzige Münder – Münder, bei denen man, zu recht oder zu unrecht, an Degeneration denkt. Er fragte sich, warum er sie nicht gleich hatte stehen lassen, und wischte sich die verschwitzten Hände an seinem Mantel ab, als könnte er sich dadurch vor Ansteckung schützen.

    5

    Als er eines Nachmittags unerwartet nach Hause kam, entdeckte er zu seinem Erstaunen zwei schlafende Schönheiten in seinem Bett. Sie lagen da wie Engel, die von anstrengenden, endlos langen Flügen erschöpft sind. Er musterte Vanya; sie gab sich Mühe, die Augen geschlossen zu halten. Hildred schnarchte angestrengt und laut genug für ein ganzes Regiment.
     Fünf Minuten später rollte er über die Brooklyn Bridge. Weiße Jockeys mit Sporen aus Malachit jagten auf den tief hängenden Wolken dahin, die sich wie Fettgewebe um die schmalen Rippen der Wolkenkratzer legten. Die knarzenden Piere standen wie stumpfe Kämme in der hereinkommenden Flut. Von der Battery bis zur Brücke war die Stadt wie eine gewaltige, steingewordene Phantasie – sie zitterte und bebte, sie erschauerte und zuckte, sie vibrierte vor Ekstase. Tief, tief unten in den schwarzen Spalten schwärmten die Millionen Einwohner umher wie betrunkene Ameisen.
     Am Sheridan Square bezahlte er das Taxi. Er wurde zu einem Teil der Menge, deren Gewimmel um diese Tageszeit wie sahniger, rosiger Schaum an die Oberfläche trat. In diesem Augenblick träumten oder sprachen Menschen in allen Teilen der Welt von New York. New York! Warum waren die Leute so verdammt verrückt nach New York? Waren es die Hektik und das Durcheinander auf den Bürgersteigen, die großartigen Gefängnisse, die den Himmel aussperrten, die ranzigen Gerüche, das ohrenbetäubende Getöse? Oder was? Was denn nur? Hier war er nun, mitten in dieser Stadt, und in seinem Herzen verspürte er nicht das kleinste bißchen Freude oder Stolz. Die wunderschönen Frauen von New York – wo waren sie denn? Er sah nur Gesichter, die so gleichförmig waren wie Gräber, die unter Kränzen erstickten, welche ihren Duft verloren hatten; sie gingen vorbei wie mit Sägemehl ausgestopfte Puppen, die ein Schluck Gin zum Leben erweckt hatte – Wachsjungfrauen, die ihre Jungfräulichkeit längst verloren hatten, ständig auf der Suche nach Sonderangeboten, getrieben von dem Verlangen zu besitzen, und auf ihren kühlen, berechnenden Gesichtern lag immerfort ein Ausdruck, der sagte: ZU VERKAUFEN.
     Vor den Treffpunkten der Halbwelt standen lächerliche Gestalten in lächerlichen Verkleidungen. Wie hätte man vermuten sollen, daß der Schurke, an dem man sich in einem Hauseingang vorbeischob, für fünf Dollar nur zu bereitwillig die Beseitigung einer Leiche übernehmen würde, daß die erstbeste Frau, der man begegnete, in ihrem Körper die Erreger sämtlicher Geschlechtskrankheiten beherbergte oder daß der servile Herr mit dem Blumenkohlohr, der einen zum Tisch begleitete, ein Schuft war, gegen den sich ein Borgia wie ein Waisenknabe ausnahm? Hinter dem Samt lauerten vielleicht genug Schießeisen, um ein ganzes Armeekorps auszuradieren.
     Nicht weit vom Jefferson Market stand ein bescheidenes, dreistöckiges Gebäude; es lag völlig im Dunkeln, nur aus einem messerbreiten Schlitz in den Oberlichtern der Kellerfenster drang ein Lichtschimmer. Tony Bring stand vor

Weitere Kostenlose Bücher