Verrückte Lust.
einer schweren Eisentür und läutete. Der Besitzer kam selbst an die Tür, spähte durch das Gitter, schaltete nach einem Nicken des Erkennens das rosa Licht im Vorraum ein und schob den Riegel zurück.
Drinnen war es voll. Es war immer voll. Im hinteren Teil des Kellers befand sich die Küche, im vorderen eine Bar, so groß wie ein Sarg. Ein Summen gutgelaunter Stimmen drang an sein Ohr; die Gesichter waren fröhlich, und die Getränke sahen bunt und einladend aus. Einen Augenblick lang blieb er in der Tür stehen und nahm das warme, flüssige Leuchten des Raums in sich auf. Man stand in Dreierreihen an der Theke, und es waren mehr Frauen als Männer unter den Gästen. Alle schienen ausgelassen und beschwipst zu sein. Eine Frau kratzte sich am Hinterteil; sie sah, daß er es bemerkte, aber das war ihr gleichgültig. Es war ihr Hintern, und sie hatte das Recht, sich dort zu kratzen, wenn es sie juckte. Es war eine Art Emanzipationserklärung…
Als er die Stufen zum Speisesaal hinaufgehen wollte, kam ihm eine große, wohlproportionierte, ziemlich angetrunkene Frau entgegengewankt. Sie lächelte schwerfällig und winkte ihm, aus dem Weg zu gehen. Ihr Kleid war unten kurz und oben weit ausgeschnitten, und sie raffte es, als fürchtete sie, darauf zu treten. Langsam und vorsichtig, als wäre sie ein Konzertflügel, kam sie die Treppe hinunter, und die ganze Zeit lächelte sie, wie Leute lächeln, die gelähmt sind. Er sah ihr gerade in die Augen und senkte dann den Blick auf den Teil ihres Körpers, der zwischen den Knien und der Taille lag. Sie hatte festes, dunkles Fleisch, auf dem hier und da glühende Schatten glänzten. Er ließ seinen Blick zwischen ihren Oberschenkein und ihrem Gesicht hin und her wandern. Sie zog das Kleid noch etwas höher, und ihr Grinsen wurde breiter. Es dauerte endlos lange, bis sie den Fuß der Treppe erreicht hatte. Sie war nicht angetrunken – sie war blau wie ein Veilchen. »Wie wär's mit einem Drink?« sagte sie, als sie merkte, daß sie die Treppe hinter sich hatte. Er versuchte höflich abzulehnen. »Ach, nun komm schon… Laß uns was trinken!« sagte sie, und er spürte, daß sie ihren Oberschenkel an ihn drückte.
»Na gut«, sagte er. »Aber nur einen.«
»Ach, was – einer bringt doch überhaupt nichts. Laß uns ein ganzes Rudel bestellen. Ich sitze da oben mit lauter alten Hennen herum. Wir feiern eine regelrechte Alte-Hennen-Party – ist das nicht schrecklich?«
»Ja, schrecklich«, sagte er.
»Sag mal, findest du, daß ich wie eine alte Henne aussehe?« Sie kniff ihn auf ihre schmerzhaft spielerische Weise in den Arm. »Na sag schon«, wiederholte sie, »findest du, daß ich wie eine alte Henne aussehe?«
»Würde ich nicht sagen… bis auf die Federn.«
»Federn? Was für Federn? Ach, du hast ja selbst lauter Federn.« Sie schwankte so sehr, daß sie ihn fast umgestoßen hätte.
Sie bestellten Martinis. Sie bestand darauf zu bezahlen. Die Frau bezahlt. Er sah sie benommen an und fragte sich, wo sie all den Alkohol ließ. Der Raum drehte sich um ihn; er mußte auf ihren Mund sehen, um zu verstehen, was sie sagte. Die Stimmen der anderen Gäste hörte er nur als ein verschwommenes Summen, durch das wie ein Splitter gelegentlich die Staccato-Rufe der Ober drangen. Die Leute an der Theke schütteten die Drinks in sich hinein. Man brauchte sich nicht zu bemühen, aufrecht zu stehen; man lehnte sich einfach aneinander. Allerdings war er nicht so betrunken, daß er nicht gewußt hätte, wessen Hand sich gegen seinen Oberschenkel drückte. Es war eine heiße, schwere Hand, und hin und wieder durchzuckte sie ein Krampf oder so. Als er sein Gewicht ein wenig verlagerte, spürte er, wie sie ihr Bein zwischen seine Beine schob und die Muskeln anspannte.
»Alles in Ordnung?« fragte er.
Sie grinste, und ihr Bein zuckte noch einmal ein bißchen. »Laß uns hier verschwinden«, sagte sie, nahm seine Hand und zog ihn zur Treppe. »Du liebe Zeit, ist deine Hand kalt«, sagte sie. »Fühl mal meine… ganz heiß.«
Die Vorstellung, nach oben zu gehen, um sich an einen Tisch mit lauter alten Hennen zu setzen, gefiel ihm gar nicht. Er versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien. »Na, komm schon«, flüsterte sie. »Ich weiß, was ich tue.« Als sie auf dem zweiten Treppenabsatz angelangt waren, blieb sie unvermittelt stehen. Über einer Tür am Ende des Gangs sah er ein rosa Licht. Sie hatte die Hand auf seinen Mund gelegt und lehnte sich mit ihrem
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