Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05
allem war er müde von seinem Job.
Es war mal wieder so eine Woche gewesen.
Am Montagabend hatte er einen Anruf aus seiner Wohnung in der Arden Street bekommen. Die Studenten, an die er sie vermietet hatte, hatten Patiences Nummer und wussten, dass sie ihn dort erreichen konnten, aber es war das erste Mal, dass sie einen Grund dafür hatten. Der Grund war Michael Rebus.
»Hallo, John.«
Rebus erkannte die Stimme sofort. »Mickey?«
»Wie geht’s dir, John?«
»Mein Gott, Mickey. Wo bist du? Nein, Unsinn, ich weiß natürlich, wo du bist. Ich meine …« Michael lachte leise. »Ich hab halt gehört, du wärst in den Süden gegangen.«
»Hat nicht funktioniert.« Seine Stimme wurde leise. »Die Sache ist die, John, können wir irgendwo miteinander reden? Ich hab zwar schon die ganze Zeit Horror davor, aber ich muss unbedingt mit dir reden.«
»Okay.«
»Soll ich bei dir vorbeikommen?«
Rebus dachte rasch nach. Patience war zur Waverley Station gefahren, um ihre beiden Nichten abzuholen, aber trotzdem … »Nein, bleib, wo du bist. Ich komm vorbei. Die Studenten sind ganz nett. Vielleicht machen sie dir ’ne Tasse Tee oder drehen dir ’nen Joint, während du auf mich wartest.«
Von der anderen Seite erst Schweigen, dann Michaels Stimme: »Das wär nicht unbedingt nötig gewesen.« Die Verbindung wurde unterbrochen.
Michael Rebus war wegen Drogendealerei zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, von denen er drei hatte absitzen müssen. In dieser Zeit hatte John Rebus seinen Bruder noch kein halbes Dutzend Mal besucht. Er war überaus erleichtert gewesen, als Michael nach seiner Entlassung den Bus nach London nahm. Zwei Jahre war das nun her, und die beiden Brüder hatten seitdem kein Wort miteinander gesprochen. Aber nun war Michael wieder da und brachte ungute Erinnerungen an eine Zeit in John Rebus’ Leben zurück, die er am liebsten vergessen hätte.
Die Wohnung in der Arden Street war verdächtig sauber, als er dort eintraf. Nur zwei von den Studenten waren da, nämlich das Paar, das sich in Rebus’ ehemaligem Schlafzimmer häuslich eingerichtet hatte. Er redete im Flur mit ihnen. Sie waren gerade auf dem Weg ins Pub, drückten ihm aber vorher schnell noch einen neuen Brief vom Finanzamt in die Hand. Rebus hätte sie am liebsten gebeten zu bleiben. Nachdem sie weg waren, war es in der Wohnung sehr still. Rebus wusste, dass Michael im Wohnzimmer sein würde, und dort fand er ihn auch. Er hockte vor der Stereoanlage und schaute die Schallplatten durch.
»Sieh dir das an«, sagte Michael, immer noch mit dem Rücken zu Rebus. »Die Beatles und die Stones, das gleiche Zeug, das du früher gehört hast. Weißt du noch, wie du Dad damit wahnsinnig gemacht hast? Was war das noch mal für ein Plattenspieler …?«
»Ein Dansette.«
»Genau. Dad hat ihn für Zigarettencoupons bekommen, die er gesammelt hat.« Michael stand auf und drehte sich zu seinem Bruder um. »Hallo, John.«
»Hallo, Michael.«
Sie umarmten sich nicht und gaben sich auch nicht die Hand. Sie setzten sich einfach hin. Rebus in den Sessel, Michael aufs Sofa.
»Hier sieht’s ja völlig anders aus«, sagte Michael.
»Ich musste ein paar Möbel kaufen, bevor ich die Wohnung vermieten konnte.« Bereits jetzt waren Rebus einige Dinge aufgefallen — Brandstellen von Zigaretten auf dem Teppich, Poster, die gegen sein ausdrückliches Verbot mit Tesafilm auf die Tapete geklebt worden waren. Er öffnete den Brief vom Finanzamt.
»Du hättest mal sehen sollen, wie die plötzlich aktiv wurden, als ich ihnen sagte, du kämst vorbei. Staubgesaugt und Geschirr gespült. Da soll noch mal einer sagen, Studenten wären faul.«
»Die sind ganz in Ordnung.«
»Und wann ist das alles passiert?«
»Vor ein paar Monaten.«
»Die haben mir erzählt, du lebst mit einer Ärztin zusammen.«
»Sie heißt Patience.«
Michael nickte. Er sah blass und krank aus. Rebus wollte eigentlich nicht neugierig sein, aber er war es. Der Brief vom Finanzamt gab ihm deutlich zu verstehen, sie wüssten, dass er seine Wohnung vermietet hätte. Ob er denn seine zusätzlichen Einkünfte nicht angeben wollte? Sein Hinterkopf kribbelte. Das passierte immer, wenn er sich aufregte, seit er sich bei einem Feuer dort üble Verbrennungen zugezogen hatte. Die Ärzte meinten, es gebe nichts, was er oder sie dagegen tun könnten.
Außer natürlich, sich nicht aufzuregen.
Er steckte den Brief in die Jackentasche. »Also, was willst du, Mickey?«
»Kurz gesagt, John, ich
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