Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
Mond. Es war Vollmond! Ich erstarrte bei diesem Anblick. Vollmond – und kein Opfer für den Großen Bruder, das böse Schattengebilde. Auf irgendeine Weise, egal wie, musste ich ein Opfer finden. Schon der Gedanke drehte mir den Magen um. Gleich darauf sah ich, wie ein Schwarm geflügelter Wesen am Mond vorbeizog. Sie ähnelten riesigen Fledermäusen, mochten aber auch auf Besen reitende Hexen sein – mich konnte nichts mehr überraschen. Mickey hatte eindeutig keine derartigen Visionen.
»Früher oder später müssen wir anhalten«, sagte Janie neben mir. »Deine Leute müssen sich ausruhen, Nash.«
Klar, ausruhen. Wie Nahrung eines jener Dinge, die der menschliche Körper hin und wieder braucht. Aber Janie war nicht dumm: Sie wusste, dass Vollmond war und was das bedeutete. Vermutlich freute sie sich insgeheim darüber, dass ich dem Schattengebilde diesmal kein Opfer anbieten konnte. Sicher ging sie davon aus, dass meine Sympathie für jeden aus unserer Gruppe mir verbieten würde, jemand aus den eigenen Reihen zu wählen. Genau da wollte sie mich haben: dass ich dem Großen Bruder erklärte, er (oder sie? Es?) solle sich verpissen. Kein Nachschub mehr, soweit es Menschenfleisch betraf. Keine Opfer. Nach dem Motto: Wir sind uns zu gut dafür, werden nicht noch einmal so tief sinken, einen unserer eigenen Spezies irgendeinem bösartigen Schreckensgebilde als Opfer darzubringen.
Aber Janie war, wie gesagt, nicht nur lieb und nett, sondern auch naiv.
Das Schattengebilde würde auch ungefragt auftauchen. Und ich eine Wahl treffen müssen.
Wir fuhren noch eine Stunde lang weiter und sahen dabei weitere Autowracks, doch ansonsten nichts Beunruhigendes, auch keine Riesenvögel. Nicht eingerechnet das Rudel von Wölfen oder Kojoten, das vor uns die Straße überquerte, sodass wir scharf bremsen mussten. Während sie vorbeiliefen, starrten sie uns mit ihren funkelnden grünen Augen an.
Schließlich sagte Mickey: »Da vorne ist eine Abzweigung nach Utica, Nash. Und da steht auch was von einem Campingplatz.«
»Na und?«, motzte Janie.
»Meinst du, wir sollten uns dort eine Weile ausruhen?«
Ich nickte. »Ja, gute Idee.«
»Dann biegen wir gleich ab.«
Janie, die neben mir saß, kochte vor Wut, aber jetzt hatte ich wirklich keine Zeit, ihr Ego zu streicheln. Sie fühlte sich von Mickey sehr bedroht, und das verstand ich auch, empfand sogar Mitgefühl für sie. Nur war Mickeys Intuition zu Janies Pech und zu unserem Glück so stark ausgeprägt, dass sie fast hellseherische Fähigkeiten hatte. Und ich wäre ein Idiot gewesen, das nicht zu unserem Schutz zu nutzen.
Der Ort war tot. Weder brannten Feuer, noch waren Fahrzeuge zu sehen. Ein ebenso trauriges Bild bot der Campingplatz, der völlig verwahrlost aussah. Ein Großteil der ursprünglichen Anlage war von Unkraut überwuchert. Eigentlich war der Platz schön gelegen, an unterschiedlichen Felsformationen und einem breiten Fluss. Bei Tag sicher ein wunderbarer Anblick, früher der ideale Ausflugsort für Leute aus Chicago.
Mickey suchte für uns einen Flecken auf einem Hügel aus, von dem aus wir den Campingplatz gut im Blick hatten, und dort hielten wir. Ein Stück den Weg hinunter entdeckten wir eine Aufseherhütte, vor der Holz gestapelt war. Wir schichteten es an der mit Steinen eingefassten Feuerstelle auf und bald darauf loderten bereits Flammen. Wirklich nett. Jetzt fehlten uns nur noch Marshmallows und Würste zu einem angenehmen Abend am Lagerfeuer. Aber das war vermutlich zu viel verlangt.
Stattdessen aßen wir Ravioli und Clementinen aus der Dose. Aber hier in der frischen Luft, am Feuer, schmeckte sogar das verdammt gut. Niemand sprach viel, alle waren müde, denn keiner hatte in den letzten Tagen viel geschlafen. Carl starrte nur in die Flammen. Und selbst Texas unterhielt uns nicht mit geschmacklosen Geschichten. Janie hielt ein Auge auf Mickey und Mickey ein Auge auf mich. Ich für meinen Teil sah zum Mond hinauf, der seinerseits zu mir herabsah.
Ich konnte das Schattengebilde wie einen um uns kreisenden dunklen Stern spüren, der bei jeder Umdrehung näher kam. Während ich am Feuer saß, rauchte ich Kette. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich tun sollte. Es war Vollmond. Möglich, dass das Schattengebilde noch bis morgen Nacht wartete, bis es sich zeigte, aber das war nicht unbedingt gesagt.
»Was hast du vor, Rick?«, fragte Janie, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
»In welcher Hinsicht?«
»Du weißt schon, was ich
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