Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
Menge Wagen, in denen Skelette sitzen.«
»Keine Überlebenden?«, fragte Mickey.
Marilynn schleckte Tomatensoße von ihren Fingern ab. »Doch natürlich, die gibt’s. Primitive Menschen, die in Tierhäuten oder nackt herumlaufen. Sie sind alle wahnsinnig und sabbern. Man will ihnen nicht mal bei Tag begegnen, schon gar nicht bei Nacht. Geht dort nicht nach Sonnenuntergang hin, denn dann kommen die wirklich Schlimmen heraus.«
Doch genau dort wollten wir hin. Ich wusste zwar selbst nicht, warum, aber der Drang war sehr stark, und ich würde mich ihm nicht widersetzen. Ich behielt unseren Gast die ganze Zeit über im Auge, sprach aber nicht mit der Frau. Denn falls ich mit ihr sprach, würde ich mich mit ihr verbunden fühlen, und das wollte ich auf keinen Fall. Ich musste sie so anschauen, wie ein Bauer ein Schwein taxiert, das er bald schlachten will. So weit war es mit mir gekommen.
Ich fühlte mich wie der letzte Dreck. Diese Frau – Marilynn – war schmutzig und stank, war vermutlich auch leicht durchgeknallt, aber auf jeden Fall harmlos. Eigentlich bemitleidenswert. Sie tat mir leid, doch ich wusste, dass ich dieses Mitleid nicht zulassen durfte. Die Schuldgefühle wegen des Unvermeidlichen fraßen mich geradezu auf. Carl und Mickey beobachteten mich, offenbar amüsierte sie meine Zwangslage. Texas Slim sah mich nicht an. Und ich wagte es nicht, Janie anzusehen, weil ich wusste, was ich in ihren Augen lesen würde.
»Und wo willst du jetzt hin?«, fragte Janie die Frau.
Marilynn dachte nach, während sie sich über eine Wunde am Daumen leckte. »Hab eine Schwester in Streator. Man hat mir erzählt, dass sie noch lebt. Ich werd mal nach ihr schauen, vielleicht auch mit ihr zusammenziehen. Kann ja sein, dass wir gemeinsam irgendwie durchkommen. Mehr will ich ja gar nicht.«
Ich wandte den Blick von ihr ab.
»Na ja, ich hoffe, du schaffst es nach Streator«, sagte Janie. »Hoffe wirklich, dass dir nichts dazwischenkommt.«
Selbstverständlich waren diese Worte an mich gerichtet.
»Genau«, mischte Texas sich ein. »Wäre dem alten Willy Wonka von der Schokoladenfabrik bestimmt nicht recht, wenn dich jemand an einem Wiedersehen mit deiner Schwester hindert.«
Carl kicherte.
Janie funkelte ihn an und ich funkelte Janie an. Was jetzt geschehen musste, geschah zum Wohl von uns allen. Aber es war so gut wie unmöglich, Janie von ihrem hohen Ross namens Moral zu werfen und ihr das klarzumachen.
Mickey war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Sie sah die Dinge realistisch und wusste, dass die Uhr nicht zurückzustellen war. Ich will damit nicht sagen, dass sie ein besserer Mensch als Janie war – das war sie ganz sicher nicht –, aber sie war eher wie wir Übrigen: unempfindlich, verzweifelt und bereit, alles zu tun, um den nächsten Tag noch zu erleben.
»Na ja, dann solltest du dich wohl besser wieder auf den Weg machen«, sagte Janie. Langsam wurde sie nervös, weil ihr klar geworden war, dass ihre moralischen Bedenken mich nicht von meiner Tat abhalten würden.
»Ich hatte gehofft, ich könnte bei euch übernachten, am Feuer«, erwiderte die Frau.
»Klar kannst du das, meine Liebe«, erklärte Texas Slim. »Unser Feuer ist auch dein Feuer.«
Carl lachte los.
»Nash«, sagte Janie mit flehender Stimme. » Rick ...«
»Warum machst du nicht einen kleinen Spaziergang?«, erwiderte ich, weil ich ihr Gutmenschentum allmählich satt hatte. »Texas wird dich begleiten.«
»Ihr könnt mich mal, ihr alle!«, gab sie zurück und stapfte in die Dunkelheit hinaus. Das gefiel mir ganz und gar nicht – da draußen lauerte zu vieles.
In der Ferne, dort, wo Chicago liegen musste, konnte man ein schwaches grünliches Leuchten am Horizont erkennen. Es spielten auch bizarre blassblaue Lichter über der Stadt, die wie elektrische Felder pulsierten. Hin und wieder sah ich etwas grell Orangefarbenes aufblitzen, als hätten sich Wolken entladen und Blitze zur Erde hinuntergeschleudert. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie es an diesem Ort direkter atomarer Einschläge aussehen mochte.
»Also gut, Carl«, sagte ich schließlich. »Bringen wir’s hinter uns.«
Marilynn richtete ihren einfältigen Blick auf mich. Ich werde nie vergessen, wie sie mich ansah. So als wisse sie Bescheid, so als spüre sie das Entsetzliche, das auf sie zukam. Ein menschliches Wesen, das versuchte, eine Verbindung zu einem anderen seiner Art herzustellen, und um Gnade, Mitgefühl und Verständnis bat.
Stattdessen schlug ihr Carl mit dem
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