Versprechen der Nacht
Natürlich war das so geplant gewesen. Hatte sie das gestern nicht gesagt? Nichtsdestotrotz hatte Savannah in ihrem Schlafzimmer in der beengten kleinen Wohnung wach gelegen und darauf gelauscht, dass ihre Mitbewohnerin nach Hause kam. Hatte sich Sorgen gemacht, dass Rachel sich in einen Typen wie Professor Keaton verknallte, einen wesentlich älteren Mann, der kein Geheimnis aus seinem hohen Frauenverschleiß und seiner Vorliebe für Studentinnen machte.
Savannah wollte nicht, dass ihrer Freundin wehgetan wurde. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlte, ausgenutzt zu werden von jemandem, dem sie vertraute; eine Lektion, die sie nie wiederholen wollte. Außerdem würde Rachel wahrscheinlich nur darüber lachen, dass sie sich solche Sorgen um sie machte. Sie würde sie eine Glucke nennen – zu zurückhaltend und ernst für ihr Alter –, so wie Savannah es schon ihr ganzes Leben lang von anderen zu hören bekam.
Um ehrlich zu sein, beneidete sie Rachel ein wenig darum, dass sie so ein Freigeist war. Während Savannah die ganze Nacht Gedanken gewälzt und sich Sorgen gemacht hatte, amüsierte Rachel sich vermutlich bestens mit Professor Keaton. Berichtigung:
Bill,
dachte sie, verdrehte die Augen und versuchte, sich jetzt
nicht
vorzustellen, wie ihre Mitbewohnerin in den Qualen der Leidenschaft Professor Keatons Namen keuchte.
Gott, wie würde sie heute nur das Seminar überstehen, ohne sich die beiden unwillkürlich – und absolut ungewollt – nackt miteinander im Bett vorzustellen?
Savannah ging um die Ecke zum Unigelände an der Commonwealth Avenue, in Gedanken immer noch bei der potenziell unbehaglichen Situation, als der Anblick von Polizeifahrzeugen und einem vor dem Kunstgeschichtsgebäude geparkten Notarztwagen mit Blaulicht sie stutzig machte. Gerade sprangen ein paar Reporter und ein Kamerateam aus einem Übertragungswagen und drängten sich durch die vor dem Gebäude versammelte Menge.
Was um Himmels willen …?
Sie eilte hinüber, eine schreckliche Vorahnung stieg in ihr auf. »Was ist da los?«, fragte sie einen Kommilitonen am Rand der Zuschauermenge.
»Jemand hat gestern Abend einen der Kunstgeschichtsprofs in seinem Büro angegriffen. Anscheinend geht es ihm ziemlich schlecht.«
»Wenigstens lebt er noch«, fügte jemand hinzu. »Anders als die Studentin, die bei ihm war.«
Savannah fiel das Herz in die Hose, so kalt wie ein Stein. »Eine Studentin?«
Nein, nicht Rachel. Das konnte nicht sein.
»Wer ist es?«
Die Antwort kam von einem anderen Zuschauer in der Menge. »Irgendein Erstsemester aus seinem Antiquitäten-Seminar. Anscheinend waren sie da oben in seinem Büro miteinander zugange, als es passierte.«
Savannahs Füße bewegten sich wie von selbst und trugen sie auf den Eingang des Gebäudes zu, bevor sie überhaupt registriert hatte, dass sie sich bewegte. Sie rannte hinein und wich dabei den Polizisten und Universitätsangestellten aus, die versuchten, die wachsende Menge draußen in Schach zu halten.
»Miss, jetzt darf niemand ins Gebäude«, rief ihr einer der Polizeibeamten zu, als sie auf die Treppe zurannte. Sie ignorierte den Befehl, rannte so schnell sie konnte die drei Stockwerke hinauf und den Gang hinunter auf Professor Keatons Büro zu.
Das Fernsehteam, das sie vor wenigen Minuten bei der Ankunft gesehen hatte, stand mit laufenden Kameras im Gang, während die Polizei und die Sanitäter hinter der offenen Tür arbeiteten. Als sie näher kam, schob ein Notarzt einen Patienten auf einer Tragbahre auf den Korridor hinaus und eilte mit ihm an ihr vorbei zum Aufzug.
Professor Keaton war bewusstlos, sein Gesicht und Hals voller Blut, die Haut kalkweiß über der Decke, die ihn bis zum Kinn bedeckte. Savannah war starr vor Schock.
»Platz machen an der Tür«, schrie eine schroffe Stimme mit Bostoner Akzent hinter ihr. Sie zuckte zusammen und trat einen Schritt zur Seite, als eine weitere Tragbahre aus dem Büro des Professors geschoben wurde.
Diese Patientin wurde nicht von einem Notarzt betreut. Die Sanitäter schoben sie ohne Dringlichkeit auf den Gang hinaus und auf den zweiten Aufzug zu. Savannah presste sich die Hand über den Mund, um den erstickten Aufschrei zu unterdrücken, der in ihrer Kehle aufstieg.
Oh Rachel. Nein.
Das Leintuch, das ihren zierlichen Körper völlig verhüllte, war voller dunkelroter Flecken. Einer ihrer Arme war darunter hervorgerutscht und hing schlaff über die Kante der Tragbahre. Savannah starrte in stummem Kummer hin,
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