Versprechen der Nacht
aßen ihre Lunchpakete, andere betätigten sich sportlich auf den weiten, grünen Rasenflächen. Alle schienen den sonnigen und warmen Oktobertag so richtig zu genießen. Ein hübscher Schnappschuss von einer Welt, die so unschuldig schien. So … normal.
Savannah schlenderte an ihren plaudernden, lachenden, sorglosen Kommilitonen vorbei, ihre Schritte eilig auf dem betonierten Gehsteig, die Arme fest um ihre Büchertasche geschlungen.
Sie hatte gerade eine Besprechung mit ihrer Tutorin gehabt, die sie für eine Weile beurlaubt hatte. Sie würde bald nach Hause fahren, schon in ein paar Stunden. Sie hatte der Tutorin gesagt, dass sie einige »persönliche Probleme« verarbeiten musste, aber schon in ein paar Wochen wieder an den Seminaren teilnehmen würde. Dabei war Savannah nicht sicher, ob ein Leben ausreichen würde, um alles zu verarbeiten, was sie in den letzten paar Tagen erlebt hatte.
Sie fragte sich immer noch, ob sie irgendwie den Verstand verlor. Gideon schien das gestern Abend nicht geglaubt zu haben. Es war unheimlich lieb von ihm gewesen, nach ihr zu sehen – dass er sich Sorgen gemacht hatte, weil sie sich krankgemeldet hatte. Sein Trost, ungebeten und unerwartet, war genau das gewesen, was sie gebraucht hatte.
Und der Kuss war auch nicht von schlechten Eltern gewesen. Der absolute Wahnsinn, um ehrlich zu sein. Es hatte sie völlig überrumpelt, wie gut es sich anfühlte, in seinen Armen zu liegen, ihr Mund auf seinem. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie immer noch seine heißen Lippen auf ihren eigenen spüren. Und auch ihr Körper erinnerte sich an ihn, jedes Nervenende wurde kribbelig und warm schon beim Gedanken daran, in seinen Armen zu sein.
Jeder andere hätte ihren labilen emotionalen Zustand gestern Abend vermutlich zu seinem Vorteil ausgenutzt und versucht, ihr an die Wäsche zu gehen. Nach diesem Kuss hätte weiß Gott nicht viel gefehlt, und sie hätte sich rumkriegen lassen.
Sie hatte geträumt, dass er fast die ganze Nacht bei ihr geblieben war. Aber als sie heute Morgen allein aufgewacht war, immer noch in Tanktop und Jeans, war er fort.
Würde sie ihn wiedersehen?
Nicht sehr wahrscheinlich. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn erreichen konnte. Keine Ahnung, wo er wohnte oder was er beruflich machte. Sie wusste nicht einmal seinen Nachnamen. Irgendwie hatte er seit ihrer ersten zufälligen Begegnung vermieden, ihr irgendetwas von Bedeutung über sich selbst zu erzählen, außer dass er offensichtlich gebildet und extrem belesen war.
Ganz zu schweigen von seiner endlosen Geduld und seinem Verständnis, wenn hysterische Frauen etwas von übersinnlicher Wahrnehmung und übernatürlichen Kreaturen faselten, die nur in Slasherfilmen und Horrorbüchern existierten.
Tatsächlich war Gideon mehr als geduldig und verständnisvoll gewesen. Er war eine Quelle der Ruhe für sie gewesen und hatte ihr damit mehr geholfen, als sie je zu hoffen gewagt hatte. Ein Teil von ihr glaubte ihm, wenn er sagte, dass er ihr helfen konnte, das alles zu ergründen. Dass er ihr helfen wollte, zu verstehen, was sie ihm erzählt hatte, obwohl er sie doch insgeheim für ziemlich durchgeknallt halten musste.
Ein Teil von ihr glaubte, dass Gideon wirklich halten konnte, was er ihr versprochen hatte. Er vermittelte einfach diese totale, unbeirrbare Kompetenz. Mit seiner Präsenz füllte er jeden Raum aus, in dem er sich aufhielt, strahlte eine undefinierbare Kraft aus. Seine intelligenten blauen Augen sagten jedem, der in sie hineinsah, dass er den Verstand und die Erfahrung eines doppelt so alten Mannes besaß.
Wie alt war er eigentlich?
Savannah hatte ihn um die dreißig geschätzt, aber sie war sich nicht sicher. Er hatte nicht geantwortet, als sie ihn bei ihrer ersten Begegnung in der Bücherei gefragt hatte. Er wirkte irgendwie zu weltgewandt, zu weise, um nur gute zehn Jahre älter zu sein als sie. Er musste viel älter sein, als sie angenommen hatte, aber sein Gesicht war faltenlos, keine Narben oder Flecken, die auf sein Alter schließen ließen.
Und sein Körper … er fühlte sich an wie aus massiven Muskeln und starken, unzerbrechlichen Knochen gebaut. Alterslos, wie so vieles andere an ihm.
Und jetzt, wo sie darüber nachdachte, hatte er auch etwas entfernt Bekanntes an sich. Wenn sie ihn ansah, meldete ihr Unbewusstes ihr ständig, dass sie sich schon einmal getroffen hatten, so unmöglich das auch war.
Ihren Instinkten – oder anderen Teilen ihrer Anatomie zum Trotz – war sie
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