Versprechen der Nacht
wäre dein Interesse an ihr schon mehr als nur vorübergehender Natur.«
Himmel, wirklich?
Gideon wollte die Anschuldigung entkräften, aber die Worte blieben wie schweres, kaltes Blei in seiner Kehle stecken.
Er hatte nicht vorgehabt, Gefühle für Savannah zu entwickeln. Er hatte weiß Gott dieses plötzliche, heftige besitzergreifende Gefühl nicht erwartet, das ihn beim bloßen Gedanken daran überkam, dass er jetzt einfach weggehen und ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen dem zivilen Flügel des Stammes überlassen sollte.
Genauso wenig hätte er sich je vorstellen können, sich einem direkten Befehl von Lucan Thorne zu widersetzen, und das, während sein Bauchgefühl ihm sagte, dass Lucan eigentlich recht hatte. Allein schon um Savannahs willen.
Lucan fixierte Gideon grimmig. »Sie ist jetzt da draußen unterwegs, mit dem Wort
Vampir
auf der Zungenspitze. Was denkst du, wie vielen Leuten sie es erzählen wird, bis wir sie festnehmen können? Sie hat es dir erzählt, verdammt noch mal. Was, wenn sie damit als Nächstes zur Polizei geht?«
»Wird sie nicht«, sagte Gideon und wünschte sich, das zu glauben. »Ich habe ihr gesagt, ich würde ihr helfen, das alles aus der Welt zu schaffen. Dass sie mir vertrauen kann.«
»Dir vertrauen? Sie hat dich eben erst kennengelernt«, bemerkte Lucan. »Sie hat Freunde, denen sie diese Geschichte erzählen könnte. Kommilitonen. Familie?«
Gideon nickte. »Eine Schwester in Louisiana. Ich weiß von niemandem sonst. Aber ich kann es herausfinden. Ich kann mich um alle offenen Fragen kümmern. Aber ich will derjenige sein, der Savannah alles erklärt. Nach letzter Nacht bin ich ihr das schuldig.«
Lucan knurrte, seine Miene steinern, nicht überzeugt.
»Ich will wissen, was dieses Schwert, mit dem meine Brüder abgeschlachtet wurden, hier in Boston verloren hat«, drängte Gideon weiter. »Ich will wissen, wer es hat und warum. Es geht doch auch den Orden etwas an, dass der Bastard einen Menschen ermordet hat, um es zu kriegen, und einen weiteren halb tot zurückgelassen hat.«
»Wir können sie nicht alleine in der Stadt herumlaufen lassen, Gid. Was sie weiß, bedroht den ganzen Stamm. Und auch sie selbst, wenn der Mörder ihrer Mitbewohnerin irgendwie erfährt, dass es eine Zeugin gab, und Savannah ins Visier nimmt.«
Bei dem Gedanken gefror Gideons Blut zu Eis. Er würde eigenhändig jeden Stammesvampir vernichten, der ihr auch nur ein Haar krümmte. »Ich werde nicht zulassen, dass ihr jemand etwas tut. Sie muss beschützt werden.«
»Allerdings«, sagte Lucan. »Und zwar Tag und Nacht. Aber das können wir nicht leisten, solange sie unter der Menschenbevölkerung lebt. Und wir bringen weiß Gott keine Zivilistin ins Hauptquartier.« Lucan starrte ihn an, in seinem eckigen Kinn zuckte eine Sehne. »Wenn du sie über den Stamm und unsere Welt aufklären willst, okay, dann mach das. Wenn du sehen willst, ob ihre Gabe uns hilft, den Bastard zu identifizieren, der diese Menschen angegriffen hat, okay, du hast hiermit freie Hand.«
Gideon nickte, dankbar für die Chance und erleichterter, als er hätte sein sollen bei der Aussicht, dass Savannah seiner Obhut anvertraut wurde.
Lucan räusperte sich betont. »Du bringst sie auf den neuesten Stand. Du befragst sie. Aber das alles tust du im sicheren Schutz eines Dunklen Hafens. Das ist jetzt der beste Ort für sie, Gideon. Das weißt du.«
Er wusste es. Aber deshalb musste es ihm nicht gefallen.
Und es gefiel ihm ganz und gar nicht.
Aber im Augenblick sah auch er keine bessere Möglichkeit.
»Ich mache ein paar Anrufe«, sagte Lucan. »Das alles geht noch heute Nacht über die Bühne.«
Gideon blieb stehen, mit zusammengebissenen Zähnen, die Hände an seinen Seiten zu Fäusten geballt, als der Anführer des Ordens den Raum verließ. Kurz darauf stand Tegan von seinem Stuhl auf. Er drehte sich zu Gideon um und musterte ihn mit seinem typischen ausdruckslosen Blick. Er hatte etwas in der Hand – ein zusammengefaltetes Stück Papier, aus dem Notizbuch gerissen, das mit dem Kuli auf dem Tisch lag, mit dem er während ihrer spontanen Besprechung herumgespielt hatte.
»Was ist das?«, sagte Gideon, als ihm der riesige Gen Eins den Zettel hinhielt.
Tegan antwortete nicht.
Er stapfte aus der Kommandozentrale und ging ohne ein weiteres Wort den Korridor hinunter.
Am nächsten Tag um die Mittagszeit war das Universitätsgelände voller Studenten, Leute saßen in kleinen Gruppen unter hohen, grün belaubten Eichen und
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