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Versprechen der Nacht

Versprechen der Nacht

Titel: Versprechen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Adrian
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sicher, dass sie Gideon zum ersten Mal vor zwei Tagen im Abbey-Raum der öffentlichen Bibliothek von Boston begegnet war. Bis vor zwei Nächten war er ein Fremder für sie gewesen. Ein Fremder, der nicht verdient hatte, ihre Probleme aufgehalst zu bekommen, real oder imaginär.
    Was der Grund war, warum sie zugestimmt hatte, als Amelie heute Morgen angerufen und ihr gesagt hatte, dass sie ein Busticket für sie gekauft hatte, das heute Abend vor der Abfahrt am Bahnhof auf sie wartete. Wahrscheinlich war es das Beste, wenn sie eine Weile nach Louisiana zurückkehrte.
    Sie hatte noch einen Termin an der Uni zu erledigen, dann würde sie in ihre Wohnung zurückgehen und fertig packen. Sie wünschte, sie hätte vor der Abfahrt irgendeine Möglichkeit, Gideon zu sehen, sich wenigstens bei ihm zu verabschieden. Aber solange sie nicht den ganzen Tag vor der Bibliothek herumlungern wollte, in der Hoffnung, dass er vielleicht diesen Nachmittag dort auftauchte, hatte sie keine Möglichkeit, ihn zu finden, bevor sie heute Abend zum Bahnhof aufbrach.
    Vielleicht wusste ja Mrs Kennefick mehr über ihn? Sie hatte ihr ganzes Erwachsenenleben im Archiv der Bibliothek verbracht; wenn Gideon einen Leserausweis hatte, konnte Mrs Kennefick Savannah seinen vollen Namen und seine Adresse geben. Das war immerhin einen Versuch wert. Sie würde sie anrufen und fragen, sobald sie im Institut für Anglistik fertig war.
    Bei diesem Gedanken strömte ihr ein solches Gefühl der Hoffnung durch die Adern, dass sie den weißen Firebird auf der Straße kaum registrierte, der im Schritttempo neben sie rollte. Das Beifahrerfenster wurde heruntergekurbelt, und aus dem Wageninneren drang Discomusik.
    Genervt sah Savannah hinüber und blinzelte in der hellen Sonne, als der Fahrer die Geschwindigkeit noch weiter drosselte, um mit ihr Schritt zu halten.
    Es war der allerletzte Mensch auf der Welt, den sie heute zu sehen erwartete. »Professor Keaton?«
    »Savannah. Wie geht es Ihnen?«
    »Mir?«, fragte sie ungläubig. Er bremste und beugte sich über den Beifahrersitz, als sie sich bückte und in den Wagen spähte, um ihn sich besser anzusehen. »Ich bin okay, aber was ist mit Ihnen? Was machen Sie hier draußen? Es hieß doch, Sie sind im Krankenhaus und werden frühestens in einer Woche entlassen.«
    »Bin seit einer Stunde draußen. Dank der Wunder der modernen Medizin.« Sein Lächeln wirkte schwach, es stieg nicht bis in seine Augen. Er wirkte blass und matt, seine gebräunte Haut wächsern gegen seinen dunklen Schnauzer und die dichten Augenbrauen. Er sah hager und erschöpft aus, wie ein Partygänger nach einem wilden Wochenende.
    Kein Wunder – vor zwei Nächten hatte man den Mann bewusstlos in die Notaufnahme gekarrt. Jetzt saß er am Steuer seines Zuhälterschlittens, und aus den Boxen plärrte Barry White. Sie ging auf den Wagen zu und bückte sich, um durch das Beifahrerfenster mit ihm zu reden. »Sind Sie sicher, dass Sie so bald schon wieder fahren sollten? Sie wurden vor zwei Tagen fast umgebracht, Professor Keaton. Ich meine nur, nach allem, was Sie durchgemacht haben …«
    Er sah ihr zu, wie sie ungeschickt nach Worten suchte, seine Miene war jetzt ernst. »Ich sollte überhaupt nicht hier sein, wollen Sie damit sagen, was, Savannah? Ich sollte nicht am Leben sein, während Ihre Freundin tot ist.«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf, peinlich berührt, dass er ihre unbeholfene Ausdrucksweise so missverstanden hatte. »Das habe ich nicht gemeint. So etwas würde ich nie denken.«
    »Ich habe versucht, sie zu beschützen. Sie zu retten, Savannah.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich konnte nichts tun. Ich hoffe, Sie glauben mir. Und ich hoffe, Sie können mir vergeben.«
    »Natürlich«, murmelte sie. »Ich bin sicher, Sie haben getan, was Sie tun konnten. Niemand kann Ihnen die Schuld dafür geben, was mit Rachel passiert ist.«
    Als sie redete, bildete sich vor ihrem inneren Auge unwillkürlich das Bild des Monsters. Die schrecklichen Fänge. Die glühenden Kohlen, die seine Augen waren. Ihre Haut wurde kalt bei der Erinnerung, und ein eisiges Frösteln schoss ihr die Wirbelsäule hinauf.
    Und doch schien Keaton seltsam ungerührt. Er wirkte irgendwie distanziert von dem Grauen jener Nacht. Er akzeptierte einfach ruhig das Wunder, die Attacke durch ein nicht menschliches, höllisches Wesen überlebt zu haben. Entweder war ihm das ganze Ausmaß des Horrors, den er erlitten hatte, gar nicht klar, oder er verbarg es gut.
    Oder

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