Versprechen eines Sommers
war, warf sich jedes Mal die Realität dazwischen. Einfach nur die Stadt zu verlassen bedeutete nicht, auch die Unzufriedenheit zurückzulassen. Die folgte ihr wie ein Schatten, der sich je nach Lichteinfall zusammenzog oder ausweitete.
Sie und Connor Davis waren die Letzten, die den Gipfel erreichten. Alle anderen hatten sich schon um die Feuerstelle versammelt, in der allerdings kein Feuer brannte, weil es noch sonnig und heiß war. Die Camper saßen auf den riesigen alten Baumstämmen. Einige davon lagen schon so lange hier, dass sich Sitzmulden in sie hineingesessen hatten.
Die Chefbetreuer der Eagle Lodge waren dieses Jahr Rourke McKnight und Gabby Spaulding, die perfekt ins Camp Kioga passten. Sie waren süß und selbstbewusst, und beide waren ehemalige Camper. Jetzt, wo sie beide aufs College gingen, verkörperten sie das, was Nana und Granddad den „Kioga-Korpsgeist“ nannten. Sie kannten die Regeln des Camps, konnten Erste Hilfe leisten, einige Worte Algonquin sprechen und kannten alle der Menschheit bekannten Lagerfeuerlieder auswendig. Außerdem wussten sie, wie man einen Camper mit Heimweh tröstete. Vor allem unter den Fledglings war Heimweh eine wahre Seuche.
In der guten alten Zeit war Heimweh kein Problem gewesen, weil die Hütten da an Familien vermietet worden waren. So funktionierte das Camp damals. Sobald die Schule im Sommer aus war, zogen die Mütter mit ihren Kindern in die Bungalows, und an den Wochenenden kamen die Daddys mit dem Zug aus der Stadt zu Besuch. Daher stammt der Begriff „Bungalow-Kolonie“. Eine Kolonie bestand aus mehreren, nah beieinanderstehenden Bungalows. Nana hatte erzählt, dass viele Familien jedes Jahr wiedergekommen waren. Zwischen den Campfamilien entstanden teilweise tiefe Freundschaften, auch wenn sie sich nur im Sommer trafen, und man freute sich das ganze Jahr über auf die nächste Saison.
Nana hatte Fotos aus diesen Tagen, und es sah aus, als wäre es eine sehr glückliche Zeit gewesen, die da in schwarzweißen Fotografien mit Büttenrand festgehalten worden waren. Die Bilder klebten in dicken Fotoalben, die bis zum Anfang aller Zeiten zurückreichten. Die Väter rauchten Pfeife und tranken Longdrinks, während sie sich lässig auf ihre Tennisschläger stützten. In der Nähe saßen die Frauen mit ihren Kopftüchern und Matrosenblusen und sonnten sich in den geflochtenen Liegestühlen, während die Kinder alle zusammen spielten.
Lolly wünschte, das echte Leben wäre so. Aber das ging heutzutage natürlich nicht mehr. Frauen hatten eigene Karrieren, und viele von ihnen hatten gar keinen Ehemann mehr.
Daher wohnten nun die Betreuer in den Bungalows. Frisch geschrubbte, enthusiastische Collegekids am Tag, wüste Partymacher in der Nacht. Letzten Sommer hatten Lolly und drei ihrer Cousinen – Ceci, Frankie und Dare – sich nach dem Lichtausschalten noch einmal rausgeschlichen, um die Betreuer zu beobachten. Erst wurde getrunken. Dann kam das Tanzen. Eine ganze Reihe Pärchen fing an, miteinander rumzumachen – auf der Veranda, in den Liegestühlen, sogar mitten auf der Tanzfläche. Ceci, die älteste der Cousinen, hatte einen tiefen Seufzer ausgestoßen und geflüstert: „Ich kann es kaum erwarten, bis ich alt genug bin, um auch Betreuerin zu sein.“
„Igitt“, hatten Lolly und die beiden jüngeren Cousinen gleichzeitig gesagt und ihren Blick abgewandt.
Jetzt war ein Jahr vergangen, und Lolly konnte den Seufzer etwas besser verstehen. Die Luft zwischen Rourke und Gabby schien zu knistern. Es war schwer zu erklären, aber leicht zu erkennen. Sie konnte sie sich gut gemeinsam in den Angestelltenunterkünften vorstellen, wie sie zusammen tanzten und flirteten und herummachten.
Sobald das Durchzählen ergeben hatte, dass alle anwesend waren, holte Rourke seine Gitarre heraus (es gab immer eine Gitarre), und sie sangen gemeinsam Lieder. Lolly war erstaunt, was für eine schöne Stimme Connor hatte. Die meisten Jungs nuschelten so vor sich hin und trafen kaum einen Ton, aber nicht so Connor. Er schmetterte „We Are the World“ nicht gerade angeberisch, aber doch mit dem Selbstbewusstsein eines Popstars. Als einige der Kinder ihn anstarrten, zuckte er nur mit den Schultern und sang weiter.
Einige der Mädchen schauten ihn aus weit aufgerissenen Augen bewundernd an. Okay, also bildete Lolly sich das nicht nur ein. Er war so süß, wie sie dachte. Schade, dass er so ein Idiot war. Und noch mehr schade, dass sie es sich mit ihm so vermasselt
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