Versprochen
die junge Frau da im Spiegel bildhübsch. Plötzlich bemerke ich etwas. Etwas, das da aus dem Nachthemd guckt, an meinem Halsansatz. Es sieht aus wie dünne Tinte auf blassem Pergament. Das Pergament ist meine helle Haut. Wie keltische Muster und wie kleine Drachen. Ein Tattoo! Keine Farbe! Keine Tinte! Ich knöpfe das Nachthemd ein Stück auf. Das Tattoo bedeckt ein Drittel meines Dekoltees. Ich schiebe das Nachthemd die Schulter runter.
„Wow.“
Es ist, sehr schön. Außergewöhnlich. Da? Da ist noch eins! Und noch eins und noch eins...
Ich ziehe das Nachthemd tiefer. Unter meiner Brust beginnt eine feine, hauchdünne, filigrane Form sich auf die Rückseite meines Körpers zu winden!? Ich will mehr sehen, ziehe das Hemd aus, bin sprachlos.
„Mach den Mund zu!“, sage ich zu dem Spiegelbild. Mein ganzer Oberkörper ist ein Kunstwerk. Unaufdringlich, sichtbar, unbeschreiblich schön. Sehnen, Muskeln, Tattoos verschmelzen miteinander. Ich schiebe die Baumwollhose an meinem linken Bein etwas höher. Auch dort? Unglaublich! Auf Rücken, Beinen, Hüften, überall treffen sich unsere Blicke, die der Tattoos und meine. Wollen sie mir etwas über meine Vergangenheit sagen? Will ich das überhaupt wissen?
Ich kann mich nicht entscheiden, welches das Schönste ist. Vielleicht das kleine Drachenwesen auf meinem Bauch?
Die Tür geht auf und schneller als ich es mir zugetraut hätte, bedecke ich meinen nackten Oberkörper mit dem verknitterten Nachthemd und meinen dürren Armen.
Kapitel 6
In den Raum, der keine Ecken hat, tritt eine attraktive Frau. Ich bin größer als sie, obwohl sie Stiefel anhat und ich barfuß bin. Sie ist älter als ich. Da fällt mir ein, dass ich nicht weiß wie alt ich bin. Sechzehn? Siebzehn? Vielleicht auch achtzehn? Sie ist Mitte zwanzig garantiert und hat eine Ausstrahlung zum niederknien.
Ihre Haare sind flammenblau und ihre Augen versprühen grüne Funken. Sie trägt ein schulterfreies violettes Kleid bis zu den Knien und Pumps mit hohen Absätzen. Sie ist tatsächlich nicht besonders groß, hat aber ein umso tolleres Gesicht.
„Wie ich sehe, habt ihr schon Bekanntschaft gemacht. Du und dein Spiegelbild. Und gefällt dir, was du siehst? Ich war so frei und habe dir die Haare gestutzt. Sie sind kürzer geworden, als früher. Aber was rede ich. Daran erinnerst du dich ja nicht.“
Sie tritt einen Schritt näher an mich heran. „Tut mir leid, wenn ich dich so überfahre. Ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt. Ich bin Kristen.“ Sie lacht. „Es ist jedes Mal ein Erlebnis. Sorry, aber du solltest dich sehen.“ Ich blicke in den Spiegel und weiß was sie meint.
Ich mache meinen Mund zu und verscheuche den bescheuerten Gesichtsausdruck. Lächle sie an. „Du weißt wer ich bin?“
„Natürlich weiß ich es, aber das spielt keine Rolle. Du bist du.“
„Kannst du mir sagen wie mein Name ist?“
„Ich könnte dir sagen wie dein Name war. Ja, das könnte ich. Aber werde ich es auch tun?“
„Wieso solltest du nicht?“
„Weil? Sagen wir einmal, meine ärztliche Schweigepflicht es mir untersagt mich in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Weißt du was ärztliche Schweigepflicht bedeutet?“
„Vielleicht.“
„Gut! Fühlt sich das seltsam an, sich an nichts zu erinnern und trotzdem alles zu wissen?“
„Alles?“
„Naja vieles!“
„Was ist passiert? Warum kann ich mich an nichts erinnern?“
„Kannst du doch. Du weißt wie man spricht wie man sich bewegt wie man kommuniziert. Du kennst doch das Wort kommunizieren? Oder?“
„Ja.“
„Siehst du. Du erinnerst dich.“
„Ich weiß nicht wer ich bin?“
„Komm schon Schätzchen. Wer weiß das schon. Das ist eine philosophische Frage.“
„Ich kenne meinen Namen nicht.“
„Du kannst neu anfangen. Sieh es positiv. Du stehst vor mir. Bildhübsch, aufgeweckt, gesund, sozusagen frisch geboren. Ach wo wir gerade beim Thema sind. Du solltest dich frisch machen, und du solltest dir etwas anderes anziehen, überhaupt mal etwas anziehen.“ Sie grinst und ihr linkes Auge zwinkert mir zu.
„Den Korridor entlang, dann links halten. Dort findest du was du brauchst und ich habe ein paar hübsche Sachen zum Anziehen besorgt. Suche dir einfach etwas aus. Ist alles für dich. Und pass auf, du lagst eine ganze Weile im künstlichen Koma. Deine Muskeln brauchen ein paar Tage, bevor sie sich wieder an die Belastung gewöhnen“, sagt sie, schlendert zu dem Gerät dessen Name ich nicht kenne. Das Piepsen hört
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