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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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als erster europäischer Politiker wieder nach China gereist. Hatten Sie keine Angst, das Regime damit aufzuwerten?
    Nein. Ich wusste, dass China wiederkommen würde.
    Halten Sie es für legitim, wenn eine Regierung individuelle Freiheitsrechte opfert, um Wohlstand zu schaffen?
    Persönliche Freiheitsrechte hat es weder während der tausendjährigen Herrschaft der chinesischen Kaiser noch unter Tschiang Kai-shek noch unter Mao Zedong gegeben; sie wurden deshalb auch nicht »geopfert«. Sie dürfen die politischen Vorgänge in Asien, im islamischen Raum, in Afrika oder in Lateinamerika nicht nach neuzeitlichen europäischen Maßstäben beurteilen. Aber sogar in Europa und Nordamerika haben fast ausnahmslos alle Revolutionen und Bürgerkriege schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte in Kauf genommen. Wenn Sie heutzutage die Fernsehbilder aus Tschetschenien, Libyen, Ägypten oder Syrien, Griechenland, Spanien oder New York auf sich wirken lassen, wo Demonstranten und Polizisten und Soldaten gegeneinander stehen, dann wird natürlich auch die Freiheit der Demonstranten beeinträchtigt, zum Teil durchaus gewaltsam beeinträchtigt.
    Es wird aber nicht geschossen, es wird kein Literatur-Nobelpreisträger inhaftiert und kein Maler festgenommen.
    Richtig. Es ist aber noch nicht so lange her, dass Maler in Acht und Bann getan wurden, zum Beispiel in Deutschland.
    Sie meinen von den Nazis?
    Ja.
    Aber kein vernünftiger Mensch auf der Welt verteidigt heute den Nationalsozialismus! Und nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges haben die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet.
    Die Menschenrechtserklärung ist eine Resolution, kein Bestandteil der Charta der Vereinten Nationen. Ich bin übrigens kein allzu begeisterter Anhänger der Vereinten Nationen.
    Aber Sie weisen immer wieder darauf hin, dass militärische Interventionen nur durch ein Mandat des Sicherheitsrates völkerrechtlich legitimiert werden können.
    Das stimmt. Deswegen bin ich sehr skeptisch, wenn ich das neue Schlagwort der »responsibility to protect« höre. Dieses Prinzip propagiert einen Verstoß gegen geltendes Völkerrecht.
    Es geht von der Vorstellung aus, dass Menschenrechte unteilbar sind und es eine Verantwortung zum Schutz des Menschen gibt.
    Es geht von der Vorstellung aus, dass Menschenrechte wichtiger sind als das Völkerrecht.
    Ist Freiheit nicht so wichtig wie Wohlstand?
    Das Freiheitsideal, das Ideal der einzelnen Person ist eine Erfindung der europäischen Neuzeit – mit der Tendenz zur Ausbreitung auf der ganzen Welt. Das ist, solange es mit soft power geschieht, in Ordnung. Sobald es mit militärischer Macht geschieht, ist es höchst zweifelhaft.
    Würden Sie einen Chinesen, dem individuelle Rechte vorenthalten werden, also mit dem Satz trösten: Bei uns in Europa hat es auch lange gedauert, bis die Idee der Menschenrechte politisch durchgesetzt worden ist?
    Nein, das würde ich so nicht sagen. Die Menschenrechte sind der chinesischen Zivilisation bisher nicht inhärent. Das gilt übrigens für sehr viele Staaten auf anderen Kontinenten.
    Ihr Argument läuft darauf hinaus, dass jemand, der von seiner Regierung verfolgt oder schikaniert wird, sich in sein trauriges Schicksal fügen muss, wenn der Staat, in dem er zu leben verurteilt ist, die Menschenrechte nicht anerkennt.
    Ich würde diese Schlussfolgerung nicht ziehen. Richtig ist aber, dass Verstöße und sogar Verbrechen gegen die Menschenrechte in der europäischen Geschichte als selbstverständlich hingenommen worden sind und bis auf den heutigen Tag hingenommen werden. Im Übrigen müssen Sie wissen, dass in Millionen chinesischer Häuser Maos Bild einen Ehrenplatz hat. Die normale Antwort auf die Frage nach Mao ist: 30 Prozent seiner Handlungen war fehlerhaft, 70 Prozent waren gut. Vor allem hat er China wiederhergestellt – nach anderthalb Jahrhunderten der Kolonialisierung.
    Sie merken, dass ich immer wieder Schwierigkeiten habe, Ihnen zu folgen.
    Sie müssen ja nicht! Ich bin kein Propagandist der Gewalt. Das ist eine der Lehren, die ich aus den beiden Weltkriegen gezogen habe. Gewalt ist an sich ein Übel, und ich will kein Teil dieses Übels sein. Gleichwohl sind Situationen eingetreten, in denen ich Gewalt ausgeübt habe. Als Beispiel weise ich hin auf die Geiselnahme von Hanns Martin Schleyer und von neunzig Menschen, die in einem entführten Flugzeug saßen. Da haben wir Gewalt ausgeübt.
    Ist es Ihnen immer noch lieber, dass die

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