Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Chinesen in Deutschland investieren als die Amerikaner mit ihren »scheiß Hedgefonds«, wie Sie einmal gesagt haben?
Mir ist jede Investition in Deutschland wichtig, das sichert unsere Arbeitsplätze. Allerdings sind Hedgefonds eine Gefahr für die ganze Welt. Es gibt verschiedene Sorten, aber im Prinzip gehören sie alle unter Aufsicht, und es sollte eine klare Trennung zwischen Hedgefonds und Geschäftsbanken geben.
Also lieber eine chinesische Investition als einen Hedgefonds?
Ich bin auch ein Gegner von chinesischen Hedgefonds.
Sie sind ein Gegner von chinesischen Hedgefonds, aber kein Gegner von chinesischen Menschenrechtsverletzungen.
Ich bin ein Gegner von allen Menschenrechtsverletzungen; aber ich bleibe ein Anhänger der Nichteinmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates.
Egal, was die Mächtigen dort anstellen?
Ohne Zusätze.
Aber Sie haben den Nationalsozialismus erlebt. Was wäre damals passiert, wenn andere Länder sich nicht eingemischt hätten?
Eines der anderen Länder, die sich eingemischt haben, hat auch im eigenen Land Menschenrechte verletzt. Die Einmischung der Sowjetunion war von den Deutschen provoziert worden, hier standen sich zwei ausschließlich machtorientierte Staaten gegenüber. Für Stalin waren die Menschenrechte genauso unwichtig wie für Hitler.
Für die Engländer und Amerikaner gilt das nicht.
Ja, die waren von anderer Machart.
Auschwitz begründet für Sie keine Pflicht zur Intervention?
Wir kommen hier in ein Gebiet, auf dem mir die Antworten schwerfallen. Es hat in der Geschichte der Menschheit mehrfach Fälle von Genozid gegeben. Aber die fabrikmäßige Ermordung von sechs Millionen Juden ist in der Weltgeschichte ein neuartiges Kolossalverbrechen. Und es verlangt nach neuen Antworten. Aber ich bin nicht derjenige, der die Antworten geben kann. Die allgemeine Redensart von der »responsibility to protect« ist jedenfalls keine ausreichende Antwort.
Ist das Ihr Ernst: Nicht einmal die fabrikmäßige Ermordung von Juden unter den Nazis rechtfertigt für Sie die Intervention anderer Mächte?
Ich habe gesagt, ich bin nicht derjenige, der auf dieses neuartige Phänomen eine Antwort hat.
Würden Sie wenigstens sagen, im Nachhinein war diese Einmischung ein Segen für Deutschland?
Sie war ein Segen für jedermann – obwohl sie gleichzeitig ungeheure Opfer verlangt hat, zum Beispiel in der Sowjetunion und in Polen, in Hiroshima, in Dresden oder Hamburg. Die Opferzahlen auf allen Seiten übertreffen alles, was wir seit dem Dreißigjährigen Krieg in Europa erlebt haben. Auch das muss man in sein Gewissen aufnehmen.
Vor Drucklegung des Buches unveröffentlicht
»Ich bin altmodisch«
Über gute und schlechte Erfahrungen im Leben
Lieber Herr Schmidt, wann würden Sie einen Menschen als erfahren bezeichnen?
Die europäische Tradition kennt den Begriff der Volljährigkeit.
Eine Altersgrenze, die vom Gesetzgeber festgelegt wird.
Ja. In vielen europäischen Staaten war es lange Zeit so, dass jemand als volljährig galt, wenn er das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Diese Altersgrenze ist dann herabgesetzt worden. Das hat zum einen mit den opportunistischen Wünschen von Politikern zu tun, die Stimmen von jugendlichen Wählern brauchen. Zum anderen hat es zu tun mit der Schulpflicht, die es seit drei, vier Generationen überall in Europa gibt: Die jungen Menschen wurden darauf vorbereitet, Bürger ihres Staates zu sein, und man hielt sie für in der Lage, früher ihre Stimme abzugeben. Beides spielt ineinander.
Sie selbst sind kein Freund der Volljährigkeit ab 18?
Ich bin altmodisch, ich halte es für ein Unding, dass jemand, der noch zur Schule geht, gleichzeitig volljährig sein soll. Ich weiß aber, dass die Volljährigkeitsgrenze eine willkürliche Grenze ist. Manche sind mit 21 erwachsen, manche sind schon mit 18 erwachsen, andere werden nie ganz erwachsen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir die Grenze zur Volljährigkeit beim Alter von 21 Jahren belassen.
Ohne Ausnahme? Auch nicht beim Führerschein?
Führerschein ist ein bisschen was anderes. Aber die heutige Tendenz, das Mindestalter für den Führerschein bis auf 16 abzusenken, halte ich auch für Opportunismus.
Und das Wahlrecht mit 16?
Da gilt das Gleiche.
Was macht einen Menschen zu einem Erwachsenen?
Ein Mensch, der die Liebe noch nicht erlebt hat, ist noch nicht wirklich erwachsen, ob er 18 ist, 21 oder meinetwegen 36. Die Erfahrung der Liebe zwischen Mann und Frau ist eine
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