Versuch über den stillen Ort (AT)
Bleistiftspitzen ins Freie getreten war, bei der Rückkehr in dem ebenerdigen Schreibzimmer unter dem Tisch hockend – und dort arbeitstaglang verharrend, ab und zu die Stacheln sträubend und sich einigelnd, die meiste Zeit aber freiheraus die lange Nase – oder den Rüssel? – zeigend. Auch ihn so unwillkürlich gegrüßt, worauf er die runden Ohren spitzte und schwarzäugelte. In einer besonders dunklen Nacht, beim Gehen querfeldein über das Brachland, auf einmal, mehr gefühlt als gesehen, zwei Riesen-Eulen, paarweise zu Häupten kreisend, oder waren, oder wurden, es mehr und mehr?, völlig lautlos wieder, und immer näher dem Scheitel des Gehenden, durch kein Rufen zu verscheuchen, und auch mit der Taschenlampe dann kaum, erst nach viel Lichtgefuchtel − was wollten sie? auf was waren die Nachtvögel aus? Und am Tag danach beim Überqueren eines still fließenden Bachs unvermutet mittendrin ein Einsinken, tiefer und tiefer, in den Schlamm, bis nah an die Hüften,gerettet »im letzten Moment« mit einem fast verzweifelten Hechtsprung zu einem vom andern Ufer überhängenden Ast − die Geschichte hier, die im Haus am Tisch auf die Fortsetzung wartete, wäre sonst unvollständig geblieben − was sie auch ist, auf andere Weise.
Und am heutigen Morgen noch, beim Gehen auf einem Steppenhang, das darüber hinwegflüchtende Reh, bei gleichzeitigem Büchsenknall am letzten Tag des Jahres, sich rettend und dabei, samt weißem Bausch hinten wie galoppierend, die Doppelgestalt von Pferd und Reiter, indianisch, vorgaukelnd. In derselben Steppe die Vorzeitmuscheln, -schnecken, -spiraltierchen hell verstreut wie überall in diesem weithin unbebauten Zwischenland, erstaunlich schwer in der Hand diese Fossile, welch ein Gegensatz zu den kaum was wiegenden Schneckenhäusern, Muschel- und Austernschalen von heute. Die Jägerfallen in denWäldern, zylindrisch, würfelförmig, Kegelstümpfe, pyramidenspitz. Im aufklarenden Nachthimmel der Fuhrmann als unregelmäßiges Vier- oder Fünfeck, die Kassiopeia als unvollendetes Doppeldreieck, die Pleïaden – meine schwachgewordenen Augen – verdichtet zur Ellipse, und natürlich, da, der Jäger Orion, das Sternbild des Winters, wie sonst keines, den Himmel überwachend und beherrschend, wenn auch ohne Büchse im Anschlag, mit nichts als einem Pfeil, oder mit gar nichts im Gürtel, Schulter- und Kniesterne annähernd Parallelen.
Vorstellung von Parallelität auch tagsüber in den Momenten des Abbiegens von den Landstraßen und Ackerwegen querfeld- und querwaldein: Parallelität womit? Mit dem Aufstehen und Abseitsgehen zu den Stillen Orten, lebenslang. Und dann in solchem Gehen das Innehalten und Dastehen im Mittelpunkt des Erdkreises. Nichts als die weißen Kügelchen der Schneebeeren. Darunter die klitzekleinen Ellipsen des Hasenkots. Spärlich ein Blühen: das der silbrigen Waldrebenbäusche, an den Waldrändern eine spiralig verschlungene, wie arabische Schrift imaginierend. Aus den schlammigen Schollen ab und zu ein kleinblättriges Gelb ragend: die ersten, oder letzten, übriggebliebenen Rapsblüten, von denen im Sommer ganz Europa durchwürfelt sein wird. Als Blumen fast einzig die Gänseblümchen an den Wegrainen, französisch pâquerettes , was vielleicht von Pâques , Ostern, kommt? (Oder auch nicht.)
Und wieder ein Waldrand, gezackt mit den spitzwinkligen Dreiecken von Fichten, ganz ungewohnt in dem Zwischenland – ob die den kleinen Friedhof, »Cimetière à Têtu«, anzeigen, der sich laut Detailkarte hier befinden soll? Aber wo in dem Wäldchen ist nun der Friedhof? Aufspringt ein Hase und lenkt so, im Zickzackflüchten, den Blick: Da ist er, der Friedhof – nichtsals zwei Steinstelen, die dritte, ein Pyramidenstumpf, umgestürzt, umschlungen die Stätte, und so fast unsichtbar, von einem urwaldhaften Lianengewirr, die Inschriften aber auf den beiden Grabsteinen klar lesbar, der eine, größere Stein ein Doppeldenkmal für ein Ehepaar, gestorben in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts (zur Frau: »gute Gattin und zarte Mutter«), der weit kleinere dem gewidmet, von dem, laut Karte, das verstruppte Walddreieck seinen Namen hat: »Arthur Têtu« (verschieden, »décedé«, im Jahre 1919), mit dem Postskriptum, gleichwie auf dem Nachbarstein: DE PROFUNDIS, in Großbuchstaben. »Têtu«, das ist also ein Familienname, und der Friedhof heißt nach Monsieur Têtu, Vorname Arthur, statt, wie in meiner Phantasie, welche mich dorthin auf den Weg gebracht hat mit dem
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