Versuchung
Prolog
Die Gänge waren lang,
schmal und fensterlos. Auf seinem Weg blieb
er immer wieder stehen und lauschte nach verdächtigen Geräuschen, doch bislang war
alles ruhig. Die Fackeln an den steinernen Wänden spendeten spärliches Licht
und ließen dunkle Schatten tanzen.
Bisher war alles
reibungslos und völlig ohne Probleme verlaufen.
Durch die
verschlossenen Gittertüren, die auf der rechten und linken Seite des Flures lagen,
vernahm er hin und wieder Geräusche. Er roch die Ausdünstungen der Gefangenen,
die sich hinter diesen Türen befanden, spürte ihre Angst, ihren Schmerz und ihr
Leid. Durch die Gitterstäbe konnte er sie sehen. Einige waren bereits verstorben
oder starrten mit trübem Blick vor sich hin. Er konnte fühlen, wie sie dasaßen,
gebrochen, nur noch leere Hüllen, die auf ihr Ende warteten.
Um seine Mutter machte
er sich jedoch keine Sorgen, sie würde weder tot noch gebrochen sein.
Er bog rechts ab
und folgte dem Gang. Er fühlte die mächtige Magie, die die alten Gemäuer des
Gefängnisses umgab, Ausbrüche verhindern und vor Eindringlingen schützen sollte.
Doch sie würde ihn nicht aufhalten können.
Der Gang wurde
breiter und der Gestank nahm etwas ab. Plötzlich hörte er Schritte, die immer
näher kamen. Geschickt sprang er an der Wand entlang nach oben und zog sich
dort in eine dunkle Ecke zurück. Keiner der beiden Gefängniswärter hatte ihn
bemerkt, sie unterhielten sich miteinander und gingen unbeirrt an ihm vorbei.
Nachdem sie verschwunden waren, sprang er aus seinem Versteck hervor und setzte
seinen Weg fort, bis er schließlich vor einer Zellentür stehen blieb. Er spürte,
dass er hier richtig war, legte seine flache Hand auf das Holz, wirkte einen
Zauber und trat ein, nachdem die Tür aufgesprungen war.
Sie saß an eine
Wand gelehnt. Ihre Kleidung sah etwas mitgenommen aus, die Haare waren unordentlich,
doch ihrer Anmut tat dies keinen Abbruch.
Ohne ihn
anzublicken, sprach sie: „Ich dachte mir, dass du kommen würdest, Devil. Ich
habe allerdings gehofft, du würdest es nicht tun.“
Er trat auf seine
Mutter zu und fragte: „Was soll der Unsinn?! Glaubst du, ich sehe zu, wie du in
diesem Loch verendest?!“
Sie reagierte nicht
auf seinen Einwand. „Nun ist alles umsonst gewesen. Die jahrelange Angst und
das ständige Verstecken, alles war vergebens, denn du bist doch zu ihm
zurückgekehrt.“ Jetzt sah sie ihn eindringlich und voller Trauer an.
Er seufzte: „Du
sagst es … etliche Jahre des Versteckens und der Angst … Ich wollte nicht
länger davonlaufen. Ich bin, was ich bin, und werde über mein Schicksal selbst
bestimmen.“
Sie schwieg eine
Weile, sagte aber schließlich: „Dann habe ich mein Leben also umsonst gegeben? Wenn
du dies jedoch als deinen Weg ansiehst ...“
Sie betrachtete
ihren Sohn, musterte ihn, sah ihm in die Augen und damit zugleich in sein
tiefstes Inneres. Dann fuhr sie fort: „Aber vielleicht habe ich ja gar nicht
versagt.“
„Lass uns aus diesem
Dreck verschwinden“, sagte er.
Sie erhob sich nicht,
sondern sah nachdenklich ins Leere.
„Weißt du, warum
ich nicht vor den Radrym geflohen bin?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab und
fuhr fort: „Weil ich nicht wusste, wohin. In Necare und Morbus hätten sie
weiter nach mir gesucht und nach Hause zurück ...“ Sie schüttelte den Kopf.
„Er würde mich vernichten.“
„Er wird dich in
Ruhe lassen. Mir ist klar, dass man auf sein Wort nicht allzu viel geben kann,
doch er weiß, was geschehen wird, wenn er dich anrühren sollte. Jetzt komm, ich
habe eine Unterkunft für dich besorgt, wo du sicher sein wirst.“
Sie zögerte kurz,
nickte aber schließlich, stand auf und reichte ihm die Hand. Ihre Blicke trafen
sich und ihre Augen, die einander so ähnlich waren, stachen aus der Dunkelheit
hervor.
„Lass uns gehen“,
sagte er, legte die Hand auf die Tür, um sie wieder zu verschließen, und zog
einen kleinen Flakon mit einer golden schimmernden Flüssigkeit aus seiner
Manteltasche hervor. Kaum hatte er den Inhalt des Fläschchens auf den Boden
geschüttet, waren die beiden auch schon verschwunden. Die Zelle blieb leer und
verlassen zurück.
Schwere Zeiten
Es war ein seltsames
Gefühl, wieder hier zu sein. Das Schulgebäude sah aus wie vor meiner Abreise
und auch die Lehrer waren dieselben, doch ansonsten war nichts mehr wie zuvor.
Es waren wesentlich weniger Schüler zurückgekehrt, in deren
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