Die Morgenlandfahrt
Scanned by Doc Gonzo
21. Auflage 1990
Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
© Copyright by Hermann Hesse, Montagnola 1959
Alle Rechte vorbehalten
Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Printed in Germany
Den Freunden
Hans C. Bodmer und seiner Frau Elsy
gewidmet
I
DA ES MIR BESCHIEDEN WAR, ETWAS
GROSSES
mitzuerleben, da ich das Glück gehabt habe, dem »Bunde« anzugehören und einer der Teilnehmer jener einzigartigen Reise sein zu dürfen, deren Wunder damals wie ein Meteor aufstrahlte und die nachher so wunderlich rasch in Vergessenheit, ja in Verruf geriet, habe ich mich entschlos-sen, den Versuch einer kurzen Beschreibung dieser unerhörten Reise zu wagen: einer Reise, wie sie seit den Tagen Hüons und des Rasenden Roland von Menschen nicht mehr gewagt worden war bis in unsre merkwürdige Zeit: die trübe, verzweifelte und doch so fruchtbare Zeit nach dem großen Kriege. Über die Schwierigkeiten meines Versuches glaube ich mich keiner Täuschung hinzugeben; sie sind sehr groß, und sie sind nicht nur subjektiver Natur, obwohl schon diese beträchtlich genug wä-
ren. Denn nicht nur besitze ich heute aus der Zeit der Reise keinerlei Erinnerungsstücke mehr, keine Andenken, keine Dokumente, keine Tagebücher -
nein, es ist mir in den seither verflossenen schweren Jahren des Mißgeschicks, der Krankheit und tiefen Heimsuchung auch ein großer Teil der Erinnerungen verlorengegangen; infolge von Schicksalsschlägen und immer neuen Entmutigungen ist sowohl mein Gedächtnis selbst wie auch mein Vertrauen in dies früher so treue Gedächtnis beschämend schwach geworden. Aber, von diesen rein persönlichen Nöten abgesehen, sind mir zum Teil auch durch mein einstiges Bundesgelübde die Hände gebun-den; denn dies Gelübde erlaubt mir zwar die schrankenlose Mitteilung meiner persönlichen Erlebnisse, verbietet aber jede Enthüllung über das Bundesgeheimnis selbst. Und wenn auch seit Jahr und Tag der Bund keine sichtbare Existenz mehr zu haben scheint und ich keines seiner Mitglieder wiedergesehen habe, so würde doch keine Ver-lockung und keine Bedrohung der Welt mich dazu bringen können, das Gelübde zu brechen. Im Ge-genteil: würde ich heut oder morgen vor ein Kriegs-gericht und vor die Wahl gestellt, mich töten zu lassen oder das Geheimnis des Bundes zu verraten, o mit welch glühender Freude würde ich mein Bundesgelübde durch den Tod besiegeln!
Es sei hier nebenbei bemerkt: Seit dem Reisetage-buch des Grafen Keyserling sind mehrmals Bücher erschienen, deren Autoren teils unbewußt, teils aber auch mit Absicht den Anschein erweckten, als seien sie Bundesbrüder und hätten an der Mor-genlandreise teilgenommen. Sogar die abenteuerlichen Reiseberichte von Ossendowski gerieten ge-legentlich in diesen ehrenden Verdacht. Aber sie alle haben mit dem Bunde und mit unsrer Morgenlandfahrt nicht das mindeste zu tun, oder doch im besten Falle nicht mehr, als die Prediger kleiner pietistischer Sekten mit dem Heiland, den Aposteln und dem Heiligen Geiste zu tun haben, auf deren spezielle Gunst und Mitgliedschaft sie sich berufen. Mag Graf Keyserling wirklich mit Komfort die Welt umschifft und mag Ossendowski wirklich die von ihm beschriebenen Länder durchquert haben, so waren ihre Reisen doch keine Wunder und haben keine neuen Gebiete
entdeckt, während gewisse Etappen unsrer Morgenlandfahrt, indem sie auf alle die banalen Hilfs-mittel moderner Dutzendreisen, auf Eisenbahnen, Dampfschiffe, Telegraph, Auto, Flugzeug und so weiter verzichteten, wirklich ins Heroische und Magische durchgestoßen sind. Es war ja damals kurz nach dem Weltkriege, und namentlich für das Denken der besiegten Völker, ein außerordentlicher Zustand von Unwirklichkeit, von Be-reitschaft für das Überwirkliche gegeben, wenn auch nur an ganz wenigen Punkten tatsächlich Grenzen durchbrochen und Vorstöße in das Reich einer kommenden Psychokratie getan wurden. Unsre Fahrt damals durch das Mondmeer nach Famagu-sta, unter der Führung Albertus des Großen, oder etwa dieEntdeckung der Schmetterlingsinsel, zwölf Linien hinter Zipangu, oder die erhabene Bundes-feier am Grabe Rüdigers - das sind Taten und Erlebnisse, wie sie Menschen unserer Zeit und Zone nur dies eine Mal vergönnt waren.
Schon hier, wie ich sehe, stoße ich auf eins der größten Hindernisse meines Berichtes. Es wäre die Ebene, auf welcher unsere Taten sich vollzogen, es wäre die seelische Erlebnisschicht, welcher sie an-gehören, dem Leser verhältnismäßig
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