Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
hinunter.
»Was liegt dahinter verborgen?«, flüsterte sie.
»Das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte er heiser. Es klang, als ob er nicht die Tür, sondern etwas ganz anderes meinen würde.
Sie trat einen Schritt zur Seite, um aus seinem Bannkreis zu kommen, und holte Walther Hagens Brief hervor. Er war so klein zusammengefaltet, dass er in die Zellophanhülle ihrer Zigarettenschachtel passte.
»Dann wird es Zeit, dass wir das Geheimnis lüften.«
39
Liebesbriefe. Nach dieser Eröffnung hatte Nicky mich angesehen, als müsste ich sofort in Tränen der Rührung ausbrechen. Ich tat es nicht. Liebesbriefe standen nur dann in direktem Zusammenhang mit Mord, wenn jemand sich durch ihre Existenz bis aufs Blut gereizt fühlte. Nach siebzig Jahren sollten selbst solche Emotionen eigentlich abgekühlt sein.
»Wegen eines Bündels Liebesbriefe musste Krystyna Nowak sterben?«
John musterte mich kühl. »Ich weiß nicht, weshalb Krystyna Nowak sterben musste . Mir sind die Hintergründe dieses Todesfalles nicht bekannt. Soweit ich weiß, ist sie unglücklich gestürzt. Wenn Ihre verstiegene Fantasie tatsächlich einen Zusammenhang konstruieren will, dann ist das für uns zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt geschehen. Wir hätten mit Sicherheit gewartet, bis die Dokumente vollständig sind.«
»John! So was sagt man nicht! Noch nicht mal im Spaß!«
»Also geben Sie zu, dass Sie und Frau Nowak eine Geschäftsbeziehung hatten.«
Nicky seufzte ungeduldig. »Aber ja. Das haben wir doch schon mehrfach erklärt. Vielleicht hatte sie noch andere Kunden? Wer weiß? Es könnte durchaus sein, dass sie sich des Öfteren am Nachlass ihrer Schutzbefohlenen vergriffen hat. Das spricht für einen zweifelhaften Charakter. Ich finde, man müsste der Polizei einen Tipp geben.«
»Nicky«, seufzte John. »Keine Polizei. Okay?«
»Gut. Wollt ihr noch was trinken? Ich würde sonst langsam aufbrechen.«
Mein Handy vibrierte. Eine Nachricht von Zuzanna. Während ich sie unter dem Tisch las, bestellte John die Rechnung.
Krystyna Nowak hat die 30.000 Euro bekommen. Polizei informiert, ist schon unterwegs. Schwerdtfeger war der Bote. Ich habe den letzten Brief gefunden. Wir sind dem Geheimnis von Janekpolana auf der Spur. Wie weiter?
Ich sah hoch, direkt in Johns blaue Augen. Ahnte er, was sich da gerade zusammenbraute? Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
Vorsicht , schrieb ich zurück. Ich will die Ratten aus den Löchern jagen. Geben Sie mir Zeit bis morgen früh. Dann habe ich einen Plan.
»Etwas Wichtiges?«, fragte der Mann, der für alte Liebesbriefe über Leichen ging.
»Mein Büro«, antwortete ich.
Die Antwort kam umgehend. In Ordnung. Hoffentlich einen, der funktioniert.
Ich musste lächeln. Zuzanna Makowska aus Polen gefiel mir. Ich verabschiedete mich kurz und knapp. Das Zahlen überließ ich John.
40
Der Pullover roch nach Lenor und Mama. Mama …
Lenka weinte leise. Am ersten Abend hatte sie sich überhaupt nicht beruhigen können. Tom hatte unbeholfen versucht, Trost zu spenden, aber er war ein Jahr jünger als sie und nicht gut in solchen Dingen. Papa hatte gar nichts gesagt. Auch nicht, als die Leute vom Beerdigungsinstitut gekommen waren und wissen wollten, was Krystyna im Sarg tragen sollte. Als ob es darauf noch ankäme. Schließlich hatte sie ihnen das dunkelblaue Kleid mitgegeben. Sie wusste nicht, ob ihre Mutter es mochte. Es war einfach das, was sie bei Familienfesten und offiziellen Anlässen anzog. Das letzte Mal hatte sie es im Lyzeum angehabt, bei Lenkas Abschlussfeier. Vor einem Jahr war das gewesen.
Ihre Eltern hatten ihr ein Auto versprochen, wenn sie mit dem Studium an der Viadrina beginnen würde. Doch der letzte Sommer war kein guter gewesen. Viel Regen, wenig Touristen. Wir müssen noch warten, hatte Krystyna gesagt. Warten …
Manchmal kam es ihr vor, als ob sie ihr ganzes Leben in diesem kleinen Kaff gewartet hätte. Warten, dass das Wetter besser wurde. Warten, ob Piotr irgendwann auffallen würde, dass sie ihn mochte. Warten, bis es Freitag wurde und sie zu viert in Karols kleinem Fiat ins Seventh Heaven fahren konnten. Warten, dass endlich ein Studienplatz in Betriebswirtschaft frei wurde. Warten, warten, warten.
Such dir schon mal was Hübsches aus!, hatte ihre Mutter vor ein paar Tagen geheimnisvoll gesagt. Was Kleines, nicht so teuer, aber robust. Lenka war ihr um den Hals gefallen. Es gab noch Wunder. Einer der Heiminsassen hatte ihrer Mutter eine kleine Summe
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