Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
Zeit, dachte sie. Zeit, dass du aus deinem Leben etwas machst.
»Und er? Der Mann? Hagen?«
»Er ist wohl irgendwo hier gestorben.«
»Joe meint, Marek und der Mann wären sich begegnet.« Er ließ sie nicht aus den Augen, als er den nächsten Schluck trank. »Er meint, etwas könnte zwischen den beiden vorgefallen sein, damals.«
»Wie alt war Marek damals?«
»Neun.«
Sie hob die Schultern. »Ich habe Zygfryd für morgen ins Krankenhaus bestellt. Ich glaube, er weiß mehr über diese Zeit als wir alle zusammen.«
»Wird er kommen?«
»Der Staatsanwalt wird die Formulierung der Anzeige gegen ihn von seiner Kooperationsbereitschaft abhängig machen, verlassen Sie sich darauf. Im Moment knabbert er an Beihilfe zur Erpressung und Hehlerei. Nach dem Gespräch morgen wissen wir mehr. Vielleicht kann er sich daran erinnern, ob Marek als Junge eine Begegnung mit dem ehemaligen Besitzer der osada hatte. Außerdem müssten wir herausfinden, was aus Walther Hagen geworden ist. Ich vermute, dass er hier irgendwo gestorben ist.«
»Dann müsste ich ja seine Knochen irgendwo gefunden haben.« Er grinste.
»Haben Sie das?«
Das Grinsen verebbte. »Nein. Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen. Weder hier noch im Kutscherhaus noch im Weinberg. Und auf dem Friedhof liegen auch keine offenen Särge.«
»Ich weiß. Ich war da.«
»Haben Sie was gefunden? In der Kapelle?«
»Nein. Nichts. Nur Scherben von kaputten Weinflaschen. Wer weiß, wer da unten alles gefeiert hat.«
»Ich nicht.«
»Wir haben sie auf jeden Fall ins Labor geschickt.«
Er versuchte wieder ein Lächeln, und dieses Mal gab sie es zurück.
»Magdalena hat die Briefe aufgehoben«, fuhr sie fort. »Sie hat sie nie geöffnet. Erst nach ihrem Tod im Mai wurden sie entdeckt.«
»Vor drei Monaten?«
»Ja. Die Zeitabfolge ist interessant. Die Briefe werden entdeckt. Horst, das spätere Opfer, kommt zum ersten Mal hierher. Kurz darauf stirbt Helmfried Hagen im Heim. Im selben Heim, in dem Krystyna arbeitet. Dann bekommen Sie Druck von Sinter, damit Sie Horst Schwerdtfeger weitersuchen lassen. Horst stirbt. Krystyna stirbt. Auslöser für all das müssen die Briefe gewesen sein.«
»Kriege ich die auch mal zu sehen, wenn schon alle Welt Bescheid weiß?«
»Sofern sie wieder auftauchen.«
»Sie sind weg?«
»Ja. Wahrscheinlich ist Krystyna dem Geheimnis von Janekpolana als Erste auf die Spur gekommen. Es hat etwas mit einem uralten Schlüssel zu tun, den sie bei ihrem Schützling Helmfried gesehen hat.«
Jacek runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf. »Welches Geheimnis? Welcher Schlüssel?«
»In den Briefen waren Hinweise, dass auf diesem Gelände etwas sehr Wertvolles versteckt war. Haben Sie eine Idee, was das sein könnte?«
»Nein. Wirklich nicht. Sonst sähe es hier anders aus.«
Sie glaubte ihm.
»Ich vermute, dass Krystyna nach dem Tod von Helmfried Hagen Kontakt zu seiner Familie aufgenommen hat. Sie hat ihnen die Briefe verkauft. Horst Schwerdtfeger wurde nach Polen geschickt, um Krystyna das Geld zu geben. Dabei sollte er auch nach dem verlorenen Schatz suchen.«
»Hier?« Jacek sah sich übertrieben um.
»Ja, hier.«
Sie trank ihren Wein in zwei Zügen. Er schmeckte gut. Frisch, fruchtig, leicht.
»Ihrer?«
»Meiner.«
Sie beugte sich vor. »Jacek«, sagte sie. Er blickte ihr direkt in die Augen. Für einen Moment glaubte sie, darin etwas aufflackern zu sehen, das sie nicht deuten konnte. Begehren?
Hör auf. Wenn du schon einen Mann brauchst, dann keinen, der gleich in mehrere mysteriöse Todesfälle verwickelt ist.
»Ich habe den Schlüssel gesehen. Und ich kenne die Tür.«
»Ach ja?«, fragte er leise. »Dann zeig sie mir.«
Er kam näher. Sie roch Seife, Wein, Schweiß und Holz. Dann spürte sie eine spitze, glühende Lanze in ihrem Leib, die direkt in ihren Schoß zielte. Sie wagte kaum zu atmen. Er stellte das Glas ab, hob die Hand, wollte sie berühren – und sie stand auf.
»Kommen Sie.«
Sie ging zurück in den Arbeitsraum. Erst dort konnte sie tief durchatmen. Sie hörte, dass er ihr folgte. Für einen kurzen Moment überkam sie die Angst, dass sie sich getäuscht haben könnte. Dass es ein Irrtum war, der sie noch einmal hierhergeführt hätte. Nein. Sie stand immer noch da. Groß, dunkel, wunderschön, zerstört.
»Das ist sie.«
Er blieb hinter ihr stehen. Sie meinte, seine Körperwärme durch die Kleidung spüren zu können. Sein Atem traf ihren Hals, und ein Schauer rieselte ihren Rücken
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