Nocturne City 02 - Blutfehde
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Ich bin beileibe kein besonders geduldiger Mensch. Schon gar nicht, wenn ich frierend auf dem Gehweg stehe und neben mir die Leiche eines Mannes liegt. Wenn man dann noch bedenkt, dass ich zu dem Zeitpunkt der einzige Detective vor Ort war und ich mir bereits seit fast einer halben Stunde die eiskalten Füße in den Bauch stand, dürfte klar sein, dass das bisschen Geduld, mit dem ich meine Nachtschicht begonnen hatte, schnell verbraucht war.
Außer mir war nur noch ein Officer namens Martinez am Tatort. Als er auf dem Weg zu seinem Streifenwagen an mir vorbeiging, ergriff ich ihn am Ellbogen.
„Wo in drei Teufels Namen bleibt die Spurensicherung?“
Martinez zuckte nur die Schultern. „Tut mir leid, Detective Wilder. Es gab eine Schießerei auf der Archer Avenue. Könnte also noch gut vierzig Minuten dauern, bis jemand kommt. Heute Nacht stehen wir offenbar ganz hinten in der Schlange.“
Ich warf erneut einen Blick auf den spindeldürren Toten. Im Licht der gelblich flackernden Straßenlaterne wirkten seine Wangen wie graue Mulden, und seine Augen waren so weit eingesunken, dass sie fast schwarz zu sein schienen. Seine Haut hatte eine gräuliche Farbe und wirkte am Hals und an den Handgelenken irgendwie matschig. An den Körperstellen, die nicht von seinem hellbraunen Uniformhemd bedeckt waren, fielen mir Einstichstellen auf. Am Unterarm, zwischen den Fingern, in der Ellenbeuge – sie waren überall. Zog man ihm die Schuhe aus, würde man wahrscheinlich an seinen Knöcheln, seinen Zehen und an sämtlichen Stellen, wo sich sonst noch eine intakte Vene vermuten ließ, weitere finden.
Eigentlich ist Tod durch Überdosis kein Fall für eine Mordermittlerin wie mich, aber ich war gerade auf dem Weg zur Arbeit gewesen, als der Funkspruch durchgekommen war. Da die Leiche nur zwei Blocks entfernt lag, war ich kurzerhand hingefahren. Hätte ich geahnt, wie der Typ riechen würde, hätte ich mir das sicherlich verkniffen. Durch seine fade Haut und den Gestank nach altem Schweiß wirkte er – mit einem Wort gesagt – verbraucht. Und als ich etwas tiefer einatmete, verbrannte mir der scharfe Geruch aufgekochten Heroins fast die Schleimhäute.
„Die Kriminaltechnik ist unterwegs, Detective!“, rief Martinez vom Streifenwagen herüber. Ich rollte meine von der Kälte verspannten Schultern. Den Göttern sei Dank, denn in einer miesen Gegend wie dieser nur mit ein paar Leuten herumzustehen war kein Spaß. Wahrscheinlich wartete schon jemand in den dunklen Reihenhäusern auf der anderen Straßenseite darauf, mich umzunieten.
„Wollen Sie eine Tasse Kaffee, Detective? Ich hab eine Thermoskanne im Wagen.“
Ich verneinte mit einem Kopfschütteln, worauf Martinez mir einen niedlichen, aber leicht enttäuschten Blick zuwarf. Er hatte ein Milchgesicht und war etwas gedrungen, aber das Leuchten in seinen schwarzen Augen und seine großen Hände verrieten mir, dass er einen Gegner wahrscheinlich leicht in zwei Teile reißen konnte, wenn es sein musste.
„Das Zeug trink ich nicht.“
„Dann vielleicht etwas Stärkeres?“ Er öffnete seine blaue Satinjacke und brachte einen silberfarbenen Flachmann mit Gravur zum Vorschein, bei dessen Anblick ich den Mund verzog.
„Weiß Ihr Captain, dass Sie das Ding dabeihaben?“
„Wenn man seinen Captain nicht auf seine nächtlichen Frauenbesuche anspricht, dann fragt er einen auch nicht, was man so auf Streife treibt“, antwortete Martinez mit einem Grinsen. „Bitte denken Sie jetzt nicht, dass ich Sie anmachen will, aber irgendwie kommt mir Ihr Gesicht bekannt vor. Sie kommen frisch von der Akademie, oder?“
Ich seufzte. Irgendwann musste es ja passieren. Ganz besonders gerissene Journalisten hatten nach dem Chaos vor drei Monaten irgendwie mein Porträtfoto von der Polizeiakademie aufgetrieben und es mit ihren Storys auf den Titelseiten aller großen Zeitungen von Nocturne City abgedruckt. „Ich war aus medizinischen Gründen für drei Monate beurlaubt. Hab heute erst wieder angefangen.“
„Drei Monate …“, murmelte er. Ich konnte fast hören, wie die kleinen Rädchen in Martinez’ Schädel zu arbeiten begannen. „Hex noch mal! Sie sind der Detective, der den Bezirksstaatsanwalt gekillt hat!“, stieß er schließlich hervor.
„Den ehemaligen Bezirksstaatsanwalt, bitte schön!“, knurrte ich. „Ich habs auch nicht aus Spaß an der Freude getan. Der Mistkerl hat versucht, mich zu töten, und war drauf und dran, einen Dämon zu beschwören.“
„Heilige
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