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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Ein
Herzenspfand
     
    Die Hände tief in den Taschen
meines Trenchcoats vergraben, so stand ich wie angewurzelt in einem Zimmer in
der dritten Etage eines alten Kastens, Rue des Francs-Bourgeois. Meine
feuchtnassen Finger umklammerten den kalten Kopf meiner Pfeife. Frühlingsstürme
ließen das altehrwürdige Haus aufstöhnen.
    Ein verregneter Frühling!
    Heulend peitschte der Wind den
Regen gegen die nackten Fenster. Durch die beschlagenen Scheiben blickte ich
auf eine nasse Dachlandschaft. Der bleigraue Himmel verbreitete ein
deprimierend giftiges Licht. Vor dem Mansardenfenster eines Nachbarhauses
flatterte ein schmuddeliges Wäschestück traurig im Wind, wie zum Zeichen einer
kläglichen Kapitulation. Das Haus links mußte wohl das Clisson oder das Soubise
sein, in dem das Staatsarchiv untergebracht ist. Direkt gegenüber ragte ein
hoher Schornstein aus dem Chaos der Dächer: der Ofen eines Bäckers oder der
Kessel eines Gießers. Der Rauch stieg zu den Wolken hoch und vermischte sich
mit ihnen.
    Die Abenddämmerung brach früh
herein und verdunkelte schnell das Zimmer, in dem ich mich befand. Eine
halbhohe Theke teilte den Raum in zwei ungleiche Teile. Das Brett, das als Tür
diente, war hochgeklappt.
    Eine alte Remington stand auf
dem Tisch im Hintergrund, daneben ein offenes Kassenbuch und alles, was man zum
Schreiben braucht. Dazu ein übervoller Aschenbecher, eine Schreibtischlampe mit
grünem Schirm, ein Telefon, eine Goldwaage, die es ebenso genaunahm wie eine
Midinette; eine Juwelierlupe, ein Probierstein und noch andere Utensilien.
    Hinter dem abgewetzten
Ledersessel hing auf einer Stange eine ganze Kollektion von Kleidungsstücken.
In den weißen Holzregalen an den Wänden stapelten sich in heillosem
Durcheinander die verschiedensten Dinge. Zwischen einem Opernglas und einer
Pickelhaube von 1870 lag sogar ein Plüschbär. Ein sehr trauriger Anblick.
    Der Tiger auf dem Kaminsims
brüllte eine Möwe an, die bewegungslos auf einer erstarrten Welle ritt. Neben
diesen Kunstgegenständen zerhackte eine Standuhr melancholisch die Zeit.
    Auf dem Holzfußboden schwankte
ein Stapel Bücher mit abgegriffenen Einbänden. Daneben lagen ein paar triste,
mit schwarzem Tuch bezogene Kontobücher. Neben dem kalten Kamin stand ein
Tresor.
    Mitten in dieser staubigen
Rumpelkammer, die das Elend anderer Leute gefüllt hatte, thronte der Hausherr,
Onkel Samuel. Er sah mir starr in die Augen. Die Oberlippe hatte sich in einer
spöttischen Grimasse leicht hochgeschoben und ließ seine Hasenzähne sehen.
    Mit bürgerlichem Namen hieß er
Jules Cabirol, ließ sich aber gerne Samuel nennen. Als Pfandleiher, der sich in
der Nähe des Städtischen Pfandhauses niedergelassen hatte, meinte er, eine
jüdische Note könne in seinem Beruf nicht schaden.
    Als ich ihn so vor mir sah,
fragte ich mich, wieviel er wohl für die kleine nackte Frau aus massivem Gold
rausrücken würde, die auf seiner Brust zu tanzen schien. Uninteressant. Völlig
uninteressant. Die kleine nackte Frau war der Griff eines Brieföffners. Die
Klinge steckte in dem harten Herzen des alten Halsabschneiders. Viele arme
Teufel waren zu ihm gekommen, um ihre Erinnerungen in ein Stück Brot verwandeln
zu lassen. An diesem regnerischen Aprilnachmittag war die Lage von Onkel Samuel
aber genauso hoffnungslos wie die seiner Kunden.
    Vielleicht sogar noch
hoffnungsloser.

Flüchtige Schatten
     
    An jenem Morgen hatte ich als
erstes Kassensturz gemacht, sozusagen zum Mundausspülen. Es gibt Dinge, die
mehr Zeit in Anspruch nehmen. Ich brauchte nur einmal meine Taschen umzudrehen,
um mich davon zu überzeugen, daß es zu einem Frühstück und vielleicht noch zu
einer Schachtel Zigaretten reichte. Sollte mir der Teufel nicht heute noch
einen stinkreichen Klienten schicken, sah ich kaum einen Weg, aus diesem
Schlamassel wieder rauszukommen. Hélène oder die anderen Mitarbeiter der
Agentur Fiat Lux anzupumpen, kam nicht in Frage. Bei denen hatte ich sowieso
schon genug Schulden. Und einen ungedeckten Scheck auszustellen, war zu
riskant. Also konnte ich nur noch auf ein Wunder hoffen. Es wäre nicht das erste
Mal in meiner abenteuerlichen Laufbahn gewesen, daß sich solch ein Wunder zur
rechten Zeit ereignet hätte. Sollte sich das Wunder nicht einstellen, na schön!
Dann würde ich eben den alten Goldschmuck versetzen, den mir Tante Isabeau
hinterlassen hatte. Tantes Schmuck bei Onkel Samuel! So würde ich immerhin ein
paar Stunden gewinnen. Resigniert hatte ich in meiner

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