Versunkene Gräber - Roman
Familie in direkter Nachbarschaft. Deshalb konnte sie nicht selbst in Johannishagen auftauchen. Dann lernte sie Horst kennen und zog ihn in die Sache hinein. Die beiden wussten, dort lag etwas vergraben. Aber sie wussten nicht, was. Als sie nicht weiterkamen, verkaufte die Pflegerin die Briefe an John. Er las sie, und Nicky hatte wohl schon einmal etwas von Johannishagen gehört.«
Sie hob ihre Kuchengabel und pickte einen Krümel von ihrem Scone ab, legte sie dann aber unverrichteter Dinge zur Seite.
»Alle Welt glaubte, russische oder polnische Soldaten hätten den Keller vollständig geplündert. Doch die Andeutungen in den Briefen konnten nur bedeuten, dass Walther Hagen diesen Wein von fast unschätzbarem Wert gut versteckt hatte. Doktor Sinter half ihnen, ihre Pläne zur Bergung umzusetzen, für die er auch die Naivität Horst Schwerdtfegers brauchte.«
»Und Sie haben sich ganz rausgehalten? Das glaube ich Ihnen nicht.« Marie-Luise funkelte die Scherenkönigin böse an.
»Ich war sechs Monate in China, um unser Werk dort zum Laufen zu bringen. Doktor Sinter hat mich darüber informiert, dass letzte Briefe meines Großvaters aufgetaucht waren. Doch ich wollte sie erst nach meiner Rückkehr lesen. Ich wollte mich in Ruhe mit ihnen befassen. Leider war es da schon zu spät.«
Marie-Luise stand auf. »Das sollen wir Ihnen abkaufen? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Was für ein Unheil haben diese Briefe angerichtet. Und Sie reden von China und Amboss und …«
»Stiftungen«, ergänzte ich mit vollem Mund.
»Stiftungen und Doktor Sinter, dabei haben Sie zwei Familien ins Unglück gestürzt! Menschen sind gestorben. Ihr eigener Bruder ist tot. Seine Schwester speisen Sie mit einem Almosen ab. Marek Zieliński sitzt in der Psychiatrie, und Jacek …« Marie-Luise brach ab.
Ich stand auf. Es tat mir leid um die Sandwiches, aber sie hatte recht. »Wir hören im Januar voneinander.«
Wir gingen zur Tür. Sabine Camerer nahm die Mappe und folgte uns.
»Die Briefe.«
»Was sollen wir damit?«, fauchte Marie-Luise.
»Sie sind nicht für Sie bestimmt, sondern für Herrn Zieliński. Ich bin der Überzeugung, dass er sie lesen wird. Er wird wissen wollen, wer der Mensch war, der vor ihm diesen Weinberg besessen hat. Nur was wir kennen, können wir verstehen. Nur was wir verstehen, können wir verzeihen. Das gilt für beide Seiten.«
Zögernd nahm ich die Mappe entgegen. Sabine Camerer verharrte noch einen Moment an der Tür. Dann bemerkte der Butler, dass wir gingen, und er eilte in die Trafalgar Suite, um den Tisch abzuräumen.
Wenig später standen wir an einem Stehimbiss am Bahnhof Kings Cross und verbrannten uns die Finger an einem zu heiß gegrillten Käse-Schinken-Sandwich.
»Willst du Jacek die Briefe wirklich geben?«, fragte Marie-Luise und hob den geschmolzenen Käse an, um ihn kühl zu pusten.
»Erst mal lese ich sie selbst. Dann kriegt er sie. Und auch nur, wenn ich von ihm endlich den Wein bekomme, für den ich mich im Herbst halb tot geschuftet habe.«
»Zuzanna sagt, er kann schon wieder bis oben klettern.«
»Er kann noch viel mehr, wenn du mich fragst. Wer in der Lage ist, eine Frau zu schwängern, der kann auch einen Weinberg bewirtschaften.«
Zuzanna war im dritten Monat. Wir hatten die Nachricht mit mehreren Flaschen illegalem Johannishagener Nickerchen gefeiert, der bereits als hottest shit in den Kellerbars von Berlin gehandelt wurde. Es musste kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus geschehen sein, in dem Jacek sechs Wochen gelegen und den Lungendurchschuss auskuriert hatte.
Marie-Luise sah auf die Bahnhofsuhr. »Oh, Mist. Wir müssen los. Sonst verpassen wir den Flieger. Was ist mit Jaceks Klage?«
Es war Jacek ein besonderes Vergnügen gewesen, nicht nur Schmerzensgeld, sondern auch Schadensersatz für seinen schwarzgebrannten Aprikosenschnaps zu verlangen.
»Ich bin mir sicher, Zuzanna wird auch in diesem Punkt vor Gericht unschlagbar sein.«
Wir rannten los, unsere Sandwiches in der einen, eine Büchse Cola Zero in der anderen Hand. Wir Millionäre für einen Tag.
Danke!
Wieder einmal ist eine Reise zu Ende. Sie hat mich auf die Weinberge rund um Zielona Góra geführt und tief unter die Erde der Burschener Schleife. Nach Potsdam ins Deutsche Kulturforum östliches Europa und nach Witnica in eine kleine, mit Büchern vollgestopfte Wohnung. Auf einem hölzernen Schiff über die Oder und in die uralte Ordensritterburg von Ł agow. Ich habe die Gärten
Weitere Kostenlose Bücher