Versunkene Inseln
Jahren schlief?“
Nein, antwortete ich ihm in Gedanken. Sie gibt es längst nicht mehr, jene Frau mit dem glatten, rundlichen Körper und dem kastanienfarbenen Haar. Ich trage nur ihren Namen.
3
Oft verdrängte ich für eine Zeitlang die Tatsache, daß sie mich wahrscheinlich nie richtig sterben lassen werden. Schließlich brauchen sie mich, jene, die sich der archaischen Wissenschaft der Gerontologie verschrieben haben. Ich sei die einzige meiner Art, sagen sie, und sie glaubten nicht, daß es nochmals jemanden wie mich gäbe. Und sie hatten sichergestellt, daß ich keine weiteren Sterblichen gebären konnte. Natürlich werden sie mich nicht einfach so aus dem Leben scheiden lassen. Ich bin dazu verurteilt, älter und älter zu werden und mit den Jahren dahinzuwelken. Bis ich als exotisches Ausstellungsstück im Keller eines. Museums ende, eingesperrt in einen Konservierungsbehälter, durch ein Wirr war von Drähten mit komplizierten Maschinen verbunden. Eine Legende, um unsere wenigen Kinder zu erschrecken und gehorsam werden zu lassen. Alptraumvisionen. Allerdings. Und eigentlich hätte ich deshalb mitten in der Nacht kreischend aus dem Schlaf fahren oder, unartikulierte Laute schreiend, an Deck der Ilium herumlaufen müssen. Aber die meisten meiner Kollegen waren bereits ausreichend über mich erschrocken, auch wenn sie fünfzig oder hundert fünfzig Jahre älter waren als ich. Sie begegneten mir mit Ehrfurcht. Sie glaubten, ich sei sehr weise, nur weil der Körper, in dem ich stecke, immer mehr verdorrt.
Vor vielen Jahren, als ich ein wenig benommen und elend die Bibliothek auf Luna durchwanderte, habe ich mich mit einer angenehmen Träumerei unterhalten. Ich stellte mir vor, ich würde erneut das Behandlungszentrum im südlichen Afrika betreten und ein lächelnder Einweiser betätigte eine verborgene Taste, woraufhin sich mitten im Raum ein Bild zu formen begann. Das Bild einer lachenden Frau mit glatter, bronzefarbener Haut, erfüllt von der Kraft der Jugend. Und da meine Leidenszeit nun vorüber war, würde man mir gestatten, erneut zu dieser Frau zu werden. Als ich in jener ersten Nacht von Pauls Besuch auf mein Spiegelbild in dem dunklen Fenster starrte, erinnerte ich mich an diese törichte, aber so verlockende Illusion, schenkte dem realen Bild ein grimmiges Lächeln und ging zu Bett.
4
Paul stand früh auf und kam zu mir in meinen Sandgarten, wo ich ein wenig herumwerkelte und dem robusten Strandhafer unnötige Pflege angedeihen ließ. Er brachte mir eine Tasse Kaffee, und ich unterbrach die Arbeit, um mich mit ihm zu unterhalten.
Nein, er hatte sich überhaupt nicht verändert. Nackt und ungezwungen räkelte er sich auf der steinernen Bank, gestreichelt von der morgendlichen Brise. Ich war natürlich angezogen. Das erstaunte meine Kollegen ebenso wie mein ergrauendes Haar und faltig gewordenes Gesicht. Ich warf einen raschen Blick auf Pauls Körper, dann neigte ich den Kopf, konzentrierte mich auf die altertümliche, tönerne Tasse in meiner Hand, und er sprach mich auf unseren Atlantisfund an.
„Nein, du bringst die Sagen durcheinander“, erklärte ich ihm. „Es ist Hawaii, ein Teil der Inselgruppe, die während der Großen Formung versank. Interessant, ja, aber nicht Atlantis.“
Paul zuckte mit den Achseln und lächelte. Was wußte er schon von Atlantis? „Und du suchst nach …?“
Jugend, war ich versucht, ihm zu antworten. Ich suche nach dem Jungbrunnen, dem Stein der Weisen, um Blei in Gold zu verwandeln. Oder in Bronze.
„Nach allem“, sagte ich. „Häusern, irgendwelchen Unterlagen, die überdauert haben, Kunstgegenständen. Manchmal finden wir einen alten,
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