Versunkene Inseln
Weise gequält von der Erinnerung an ihren ehemaligen Geliebten, der nun im Bett des Gästezimmers lag und die Wärme seiner neuesten Dame genoß. Soll es ein Geheimnis sein zwischen mir und dem Fenster. Und der Sonne aus heißer Pein tief in meinem Rücken. Psch.
2
Vor fünfzig Jahren, als ich siebzehn und er siebenundzwanzig war, haben wir uns geliebt. Er war unbekümmert in seiner Jugend und sah so aus wie jetzt: graugrüne Augen, die abends einen nußfarbenen Schimmer annahmen; ein Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen, umrahmt von goldenem und braunem Haar; eine zarte Statur, schmal in den Schultern und Hüften; anmutig in seinen Bewegungen, gewandt mit seinen Worten. Ein gefälliger, anziehender Körper. Und er hatte sich dagegen entschieden, ihn verändern zu lassen.
Und ich? Schon als junges Mädchen der Schatten eines Monstrums? Rundlich und fest, eine dichte, kastanienbraune Haarmähne, die weich zu den Schultern hinabfiel und zu einem glatten Gesicht mit braunen Augen kontrastierte; einen Meter sechzig groß, fast so groß wie Paul. Das Kind in meiner Erinnerung war in den Fesseln seines Wesens genauso sprühend und gischtend und wogend wie das Meer. Ich schwebte im wahrsten Sinne des Wortes am Rande der Ewigkeit, als ich darauf wartete, daß sich mein Körper soweit stabilisierte, um den Immortalitätsbehandlungen unterzogen zu werden. Und währenddessen erfreute sich Paul noch an der Neuheit seiner eigenen Unsterblichkeit.
Als die Zeit gekommen war, wanderten wir singend zur Klinik, und Paul ließ mich eine Woche lang dort. Sie bombardierten Körper und Hirn mit Chemikalien, Strahlungen und Leben und versuchten, die Sterblichkeit aus meinen Zellen zu tilgen – mit Methoden, die damals große Mysterien für mich darstellten und die ich seitdem bis zur Verzweiflung studiert habe. Vergebens. Paul wartete auf mich, als ich die Klinik verließ. Wir tollten im Himalaja herum, betrachteten den Sonnenuntergang über den Rocky Mountains und den Mondaufgang über den Pyrenäen. Wir verbrachten ganze Epochen der Entzückung in der maritimen Stadt Venedig. Ein Jahr später kehrte ich für die restlichen Behandlungen in die Klinik zurück, und sie behielten mich dort und testeten und testeten und sagten mir schließlich, es habe nicht funktioniert.
Überhaupt nicht.
Sie werden eine lange Zeit leben, ja, dafür sorgen wir. Aber nicht ewig, nein, es tut uns furchtbar leid. Wissen Sie, Sie sind einzigartig. Hundert Jahre vielleicht. Möglicherweise auch hundertfünfzig. Wir bedauern das sehr.
Vielleicht zweihundert. Es ist gar nicht so übel, zweihundert Jahre zu leben. Es wird Ihnen sehr gutgehen, wissen Sie. Dafür sorgen wir. Wir bezahlen Sie dafür. Wir brauchen Sie. Genauso wie Sie uns brauchen.
Es wird Ihnen sehr gutgehen.
Aber die ewige Jugend ist Ihnen verwehrt.
Wirklich bedauerlich.
Und so ging ich nach einer Weile als Sterbliche fort, lebte auf dem Mond, verbrachte einige Jahre in der solaren Orbitalstation, zog dann auf den Mars um und kehrte als Frau in mittleren Jahren auf eine Welt der Jungen zurück. Ging wieder fort, zum Saturn, zur Venus, lebte in einsamen Vorposten an alptraumhaften Orten. Kam als Greisin zurück, kaufte dieses Haus an der Küste des Kontinents, arbeitete an dem Projekt und vertiefte mich in die komplizierte und umfassende Aufgabe, den Meeresgrund nach Artefakten der Vergangenheit zu durchwühlen. Lud Paul und seine Dame zu mir ein und erkannte den Schock in seinen Augen, als sie das Schiff verließen. Ich schritt ihnen entgegen, um sie zu begrüßen, und sah dabei die unausgesprochene Frage auf seinen Lippen: „Das ist die Frau, mit der ich vor so vielen
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