Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)
hier trat eher der entgegengesetzte Effekt ein. Dem geballten Ansturm dieser mächtigen Woge aus Männern, Pferden und flatternden Feldzeichen setzten die feindlichen Truppen kurze Zeit Widerstand entgegen, wichen aber dann zurück.
Es war gegen zehn Uhr am Vormittag, und nun ging alles schnell. Die polnische Armee verlor den Boden unter den Füßen.
Niemand in der alliierten Armee hatte wohl eine Vorstellung davon, wie schwer die Kämpfe des zweiten Tages der polnischen Armee zugesetzt hatten. König Johan Kasimir hatte schon zu diesem Zeitpunkt die Schlacht verlorengegeben und deshalb beschlossen, die wertvollen Kanonen, die Infanterie – die aus Söldnern bestand und daher teuer war – sowie den Tross auf das westliche Ufer der Weichsel hinüberzuführen, während gleichzeitig die gesamte Reiterei sich auf dem östlichen Ufer nach Süden zurückziehen sollte. (Die Polen hatten nur eine Brücke über die Weichsel, und deren Kapazität war offenbar nicht ausreichend, um die ganze Armee schnell über sie evakuieren zu können.) Zum Schutz dieses Rückzugs wollte man entlang der Sandhügel und beim Pragawald eine hinhaltende Verteidigung aufbauen. Die Entscheidung war wohl an und für sich richtig, aber hier hatte sie eine verhängnisvolle Wirkung. In einer so ungeordneten Armee wie der polnischen, die mehr auf dem Enthusiasmus der Teilnehmer und auf eigenem Willen beruhte als auf harter Disziplin und drakonischen Strafen, musste ein solcher Befehl beinah zwangsläufig zur Auflösung führen. Und richtig: Schon am gleichen Abend hatten die Männer begonnen, zur Brücke zu drängen, und die Stimmung wurde nicht besser dadurch, dass die Krieger sehen konnten, wie die Wagen einiger hoher polnischer Potentaten mystisch im Dunkel verschwanden. Die Soldaten begannen davonzulaufen, und bei Sonnenaufgang erwies es sich als schwierig, die Verbliebenen unter den Fahnen zu sammeln. Der größere Teil des allgemeinen adeligen Aufgebots schlich sich im dichten Morgennebel davon und verschwand hinunter zur Weichsel und zur Brücke. Weder Bitten und Drohungen noch das Versprechen großzügiger Belohnungen half. Nur das geworbene Fußvolk und der Adel von Belz waren noch geschlossen am Platz.
In dieser Lage, als große Teile des polnischen Heeres schon im Begriff waren, sich aus der Schlacht zurückzuziehen, kamen die alliierten Vorstöße.
Auf den Sandhügeln angelangt, konnten die schwedischen und brandenburgischen Soldaten über die tiefer gelegenen Felder schauen, die zwischen ihnen und dem Fluss lagen. Dort konnten sie in der Ferne das ganze polnische Heer sehen, in eine gewaltige Staubwolke gehüllt: ein schwer überschaubares, kunterbuntes Gewimmel von Menschen, die sich in Wellen über ihren alten Lagerplatz zur Brücke hin bewegten. Es waren nicht nur die Krieger der Armee, sondern auch alle Nichtkämpfenden. Alle Armeen hatten zu dieser Zeit einen bedeutenden Anteil ziviler Helfer und Nichtkämpfender – nicht zuletzt Familienangehörige, die häufig mit ins Feld zogen. Dies galt insbesondere für Armeen im Osten wie die polnische und die russische. (Dies erklärt die Phantasiezahlen, die oft auftauchen, wenn in zeitgenössischen Quellen ihre Mannschaftsstärke diskutiert wird.) In der polnischen Armee kamen häufig bis zu fünf Nichtkämpfende auf jeden Mann im Glied – außerdem führten einzelne Edelleute kleine Höfe mit zehn bis zwölf Bedienten und ebenso vielen Wagen mit sich. Dies bedeutet, dass zu den gut 40 000 Kämpfenden, die in diesem Augenblick versuchten, sich vom Schlachtfeld zurückzuziehen, vielleicht bis zu 200 000 Kutscher, Handlanger, Knechte, Bediente, Ehefrauen und Kinder hinzugezählt werden müssen. Auch wenn viele sich schon während der Nacht und am frühen Morgen davongemacht hatten, waren es offenbar noch immer so viele, dass es unmöglich war, schweres Chaos und Panik zu vermeiden.
Die Polen konnten von Glück sagen, dass die alliierten Befehlshaber allem Anschein nach von ihrem plötzlichen Erfolg überrascht worden waren. In der Hitze des Gefechts war es kaum möglich, die angreifenden Verbände umzudirigieren, um zu versuchen, den polnischen Verbänden die Rückzugswege abzuschneiden und sie einzukesseln, und so drängten die schwedischen und brandenburgischen Soldaten nur weiter auf den Fluss und die Brücke zu. Der Effekt ähnelte dem, der entsteht, wenn man auf eine locker gestopfte Wurst drückt und der Inhalt an den Enden herausgepresst wird.
Eingehüllt in eine große
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