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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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dass sie die Schweden mit der Peitsche davonjagen würden. Gemeinsam würden sie am nächsten Tag «angreifen und dem ausgehungerten Feind den Garaus machen».
    Dieser Tag hätte für die Alliierten richtig übel enden können. Es war ihr großes Glück gewesen, dass die polnische Führung ebenso wenig einen klaren Begriff davon gehabt hatte, was passiert war, wie sie selbst. Einen richtigen Versuch zur Einschließung der zusammengedrängten schwedisch-brandenburgischen Streitmacht in dem Korridor hatte es nicht gegeben. Die Verluste der dem Feuer der polnischen Artillerie ausgesetzten Truppen waren nicht unerheblich, aber sie hätten größer sein können, wenn die polnischen Kanoniere in ihren hohen Hüten, kurzen Jacken und knielangen Hosen nicht so schlecht gezielt hätten.
    Zur Nachtzeit hielten die schwedischen und brandenburgischen Befehlshaber einen neuen Kriegsrat. Die Stimmung war, gelinde gesagt, düster. Gefangene wussten zu berichten, dass der König von Polen seine gesamte große Heeresmacht im Dunkel vor ihnen sammelte. Gerüchte besagten, dass die Polen 100 000 , ja vielleicht sogar 200 000 Krieger zählten. (Der gerade aus Italien eingetroffene Mann hörte die Zahl 170 000 .) Die gesammelte Heeresmacht der Schweden und Brandenburger bestand aus 18 000 Mann. Die hohen Offiziere, die während des Tages Zweifel geäußert hatten, waren jetzt nahezu mit Panik geschlagen. Mehrere von ihnen wollten den Kampf ganz einfach abbrechen. Die Stellung der Polen sei zu stark, meinten sie und fürchteten, man würde von ihrer Übermacht wie ein Tropfen im Meer verschlungen werden. Einer meinte entsetzt, es sei «unmöglich, daß ein einziges Bein der Unsrigen aus diesem Kampf mit einem starken und mächtigen Feind gerettet werden könne». Ein anderer forderte Karl Gustav auf, wenigstens sich selbst zu retten, solange dazu noch Zeit sei: die Armee zu verlassen und den Morgen nicht abzuwarten.
    Karl Gustav wischte alle Befürchtungen vom Tisch. Er wollte einen letzten Versuch wagen und am nächsten Tag den Kampf aufnehmen. (Seine Einstellung war nicht ganz wahnsinnig. Wenn es schwer gewesen war, sich früher während des Tages umzubesinnen, so war es jetzt nahezu unmöglich geworden. Einem entschlossenen Feind, der nur ein paar Kilometer entfernt bereitstand, in nachträglicher Einsicht den Rücken zuzukehren, war mindestens ebenso gefährlich, wie ihm auf offenem Feld entgegenzutreten.) Er erklärte sich willens zu zeigen, «wie man mit Gottes Hilfe das Schlachtfeld erobert und der Hand des Feindes den Sieg entwindet».
    Dazu brauchte man freilich zunächst ein Schlachtfeld, um das man kämpfen konnte. Das alliierte Heer kampierte zusammengedrängt in großer Unordnung auf dem schmalen Streifen zwischen dem Wald und dem Fluss. Die Stimmung unter den erschöpften Soldaten und Offizieren war von Missmut und der Furcht davor geprägt, am nächsten Tag auf einen Feind zu treffen, von dem sie mit allem Recht annahmen, dass er zahlenmäßig unendlich überlegen war. Die Ungewissheit war groß. Irgendwo im Nordosten brannte ein Dorf. Der Nachtwind führte das Dröhnen Tausender Pferdehufe heran, die drüben auf der polnischen Seite über die lange Schiffsbrücke trampelten. Es war offensichtlich, dass die Polen alles, was sie hatten, für den kommenden Tag zusammenzogen. Das dumpfe Geräusch setzte sich die ganze Nacht lang fort.
    Als gegen zehn vor vier die Sonne aufging, ruhte der Morgen in Nebel gehüllt. Karl Gustav frühstückte: spanischen Wein und Semmeln. Ein Offizier, dem ein paar Stunden zuvor ein Arm abgeschossen worden war, war auch dabei, er trank auf den König und den Sieg und bat Karl Gustav, sich seiner Ehefrau und Kinder zu erinnern – eine Stunde später war er tot. Danach bestiegen der König, der Kurfürst von Brandenburg und einige höhere Offiziere ihre Pferde und ritten davon, um in dem milchigen Morgendunst Ausschau zu halten. Es war offensichtlich, dass die Alliierten nicht in dem Sack stehen bleiben konnten. Was sie jetzt vor allem brauchten, war Platz, Platz zum Aufstellen aller ihrer Schwadronen, Brigaden und Batterien. Und dieser Platz fand sich östlich des Höhenzugs und der polnischen Befestigungen. Dort, zwischen den beiden Dörfern Bialoleka und Bródno, breiteten sich weite Wiesen und Äcker aus. Dort würden die Alliierten ihre Leute aufstellen, und von dort würden sie den eingegrabenen polnischen Truppen auf dem Sandrücken in die Flanke fallen können.
    Und es wurde Morgen, der

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