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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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zweite Tag. Wahrend die Sonne die weißen Nebelschwaden auflöste, die über dem Boden hingen, begannen die Schwadronen und Brigaden auf dem engen Feld am Fluss sich hin und her zu verschieben – es galt, Ordnung in die zusammengemischte Menschenmasse zu bringen. Vorn an der Front schossen ein paar Kanonen schwedische Losung – zwei Schüsse. In dieser Situation war dies eine Art Frage oder Herausforderung an den Gegner: «Ich will kämpfen, willst du?» Antwortete die andere Seite mit ihrer Losung, so bedeutete dies, dass sie die Herausforderung annahm und es zum Kampf kam. (Dieser sonderbare Brauch war teilweise ein Überbleibsel von den Schlachten des Mittelalters – die oft auf direkte Übereinkunft hin und unter der Oberaufsicht einer Art unparteiischer Schiedsrichter stattfanden, die hinterher die Entscheidung darüber fällten, wer gewonnen hatte.) Von der anderen Seite waren drei Schüsse zu hören: polnische Losung. Die Herausforderung war angenommen.
    Zuerst eröffneten die Kanonen der Alliierten das Feuer, kurz darauf folgten die polnischen Geschütze. Die Schüsse fielen zunächst vereinzelt und tastend, aber sie verdichteten sich langsam zu einer Wand harter Knalle. Zum dumpfen Krachen der Kanonen verrichteten die Soldaten ihr Morgengebet. Unter dem kühlen, blauen Morgenhimmel nahm das Geschützfeuer an Stärke zu. Eine 700 Meter lange, still stehende Linie mit schwedischer Infanterie, Reiterei und rauchumwölkten Kanonen ging genau gegenüber den feindlichen Befestigungen in Stellung. Auf dem kilometerbreiten Feld zwischen den gegnerischen Linien ritten im Schritttempo kleine Gruppen irregulärer Kavallerie aus beiden Lagern nervös zwischen den Büschen umher und wechselten Schüsse.
    In Deckung und im Schutz dieser rauchenden Mauer von Menschen und Pferden wurde der Plan der Alliierten gegen neun Uhr ins Werk gesetzt. In einem weiten Bogen zogen Kolonnen von Fußvolk und Reiterei nach links hinauf, durch das kühle Gewirr von Büschen und Eichen, über den Sandrücken, in nordöstlicher Richtung zu den weiten Feldern, die sich dahinter auftaten. Unter flackernden Laubschatten und in ausgetrampelten und sumpfigen Spuren folgten Kanonen langsam und knirschend.
    Nach einer Weile waren von jenseits des Waldes Schüsse zu hören. Das war das Zeichen, dass der linke Flügel seinen Marsch durchgeführt hatte und dass es Zeit war für den rechten Flügel, der noch am Fluss stand, ihm nachzufolgen.
    Da geschah es. Genau zu dem Zeitpunkt, als das Heer der Alliierten sich auseinandergezogen hatte und schwankend, mit je einem Bein auf den beiden Seiten des Bialolekawalds, balancierte, wurde es von einer Serie harter Schläge von verschiedenen Seiten getroffen. Die Polen gingen zum Angriff über. Eine größere Truppe von zwei-bis dreitausend Tataren offenbarte sich plötzlich wie eine dunkle Wolke genau im Rücken der Einheiten, die noch unten am Fluss standen.
    Die Schlacht war in vielfacher Hinsicht ein Zusammenprall von Altem und Neuem, und das zeigte sich nicht zuletzt hier. Die Tataren waren ein halbnomadischer türkischer Volksstamm, der in den Steppenregionen des südlichen Polen und angrenzender Gebiete lebte. Sie waren eins der letzten Kriegervölker Europas und zu jener Zeit ein traditioneller Unruhefaktor im südöstlichen Europa. Sie verloren sich immer wieder in kriegerische Unternehmungen, liehen ihre Waffen mal diesem, mal jenem – Türken, Russen, Polen –, um sich zuweilen auf eigene Feldzüge kreuz und quer über die Grenzen zu begeben, die sie als neumodischen Firlefanz betrachtet zu haben scheinen, der wenig oder keinen Respekt verdiente. Sie waren wie blasse Schatten jener zentralasiatischen Kriegervölker, die während des Mittelalters eine Geißel der Christenheit gewesen waren. Ihre Armee war indessen keine Armee im modernen Sinn, sondern nur ein Bündel locker zusammengehaltener Banden irregulärer Reiterei, geeint durch ein gemeinsames Trachten nach Beute. Auch ihre Bewaffnung und ihre Art zu kämpfen waren von einfachster Art; als sie jetzt vorstürmten, fuchtelten sie mit Bogen und Spießen und rasselten mit Schilden und Krummsäbeln.
    Die sechs schwedischen Reiterschwadronen, die ihnen entgegenritten, gehörten dagegen zu den allermodernsten und schlagkräftigsten Truppenverbänden, die man auf den Schlachtfeldern Europas sehen konnte. In ihren Händen hielten die Reiter ihre wichtigste Waffe, die Radschlosspistole. Diese Pistolen hatten ein grobes Kaliber (rund elf Millimeter)

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