Verwunschen
sie in die Höhlung darunter. Kylah kam zu ihnen und lächelte. »Ist es das, was ich vermute?«
Mona war ganz feierlich zumute, als sie in das Loch griff und ein altes Buch heraushob. Vorsichtig schlug sie es auf. Die verschnörkelte Schrift war schwer zu lesen, doch die Überschriften und die drastischen Illustrationen sprangen ihnen geradezu in die Augen. Von schweren Kämpfen war die Rede, von verlustreichen Schlachten zwischen Menschen und Magischen. Die ältesten Berichte reichten bis ins frühe Mittelalter zurück, doch das Blutvergießen war danach immer wieder losgegangen und hatte viele Opfer gefordert. Unter den Menschen und unter den Magischen. Bestürzt sahen sich die drei an.
»So weit darf es nicht wieder kommen!«, sagte Kylah bestimmt.
Die Zwillinge nickten. Mona blätterte das Buch bis zum Schluss durch und nahm dann ein einzelnes Blatt, das zwischen den letzten Seiten steckte.
»Der Vertrag!«, hauchte Patrick und kniff die Augen zusammen. Dann begann er langsam zu lesen. Es war eine seltsame Sprache, und sie verstanden nicht alle Worte, doch ihnen war klar, was der Inhalt bedeutete: Die Magischen gaben den O’Connors Land. Das heißt, genauer gesagt überließen sie ihnen die Ländereien von der Ruine der ersten Burg bis hinüber nach Ashford Castle mit der Bedingung, nicht tiefer als vier Schritte zu graben und die Eingänge zu den magischen Orten zu bewahren und zu beschützen.
Unterzeichnet war der Vertrag auf der einen Seite nur von einem der Magischen, auf der anderen Seite folgte eine ganze Liste von Unterschriften, die vermutlich zu jeder folgenden Generation der O’Connors gehörte. Die letzte Unterschrift gehörte wohl ihrem verstorbenen Großvater.
»Vermutlich weiß Grand Myrna gar nichts von diesem Vertrag«, meinte Mona. »Wie soll sie ihn unterschreiben, wenn sie ihn gar nicht kennt?«
»Dann sollte sie schleunigst davon erfahren«, schlug Kylah vor. »Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, sich mit den Magischen zu versöhnen und eine weitere blutige Fehde zu verhindern.«
»Ich hoffe es«, sagte Mona leise. »Ich hoffe es.«
E s war tief in der Nacht. Das Haus lag still im Mondschein. Alle schliefen. Da erklang das Trippeln kleiner Füße auf dem Flur. Eine Tür öffnete sich mit kaum hörbarem Knarren. Dann kratzten die Beine eines Stuhls über den Holzboden. Für eine Weile war es wieder still. Eine Schublade wurde geöffnet und wieder zugeschoben. Eine zweite folgte. Wieder Stille, die nur vom leisen Rascheln von Papier unterbrochen wurde.
Unhörbar näherte sich jemand vom Flur und schlüpfte durch den Spalt in Mrs O’Connors winziges Arbeitszimmer. Die Gestalt blieb stehen und beobachtete einige Augenblicke das Treiben, ehe sie sich bemerkbar machte. Mit einem Hüsteln versuchte Brock die Aufmerksamkeit der Koboldin zu erlangen, die ihre spitze Nase zwischen einige Blätter Papier steckte, diese dann aber rasch zur Seite legte und neue beschriebene Seiten aus dem Ordner fischte.
»Darf ich fragen, was du hier treibst?«, erkundigte sich Brock vernehmlich, nachdem sie ihn noch immer ignorierte.
»Nein, darfst du nicht«, gab Finola schnippisch zurück, ohne aufzusehen.
»Hast du Mrs O’Connor nicht schon genug angetan? Musst du nun auch noch alles in ihrem Schreibtisch durcheinanderbringen?«
Nun sah Finola doch auf. Sie stützte die Hände in die Hüften und trat an die Schreibtischkante.
»Ach, ist das dein Eindruck, dass ich hier lediglich Unordnung mache?«
»Das würde zu dir passen«, brummte der Kobold.
»Pah!«, gab sie abfällig zurück. »Und was heißt hier, ich hätte ihr schon genug angetan?«
»Du hast sie die Treppe heruntergestoßen und sie hat sich dabei das Bein gebrochen.«
»Ja und? Was ist das schon im Vergleich zu dem, was sie uns zufügt?«, entgegnete Finola scharf. Brock dagegen seufzte nur tief.
»Und außerdem mache ich hier nicht einfach Unordnung – was mir als Hauskobold durchaus zustünde«, fuhr sie fort und ließ ihren Blick über den Berg von Papieren wandern. »Ich suche etwas!«
Brock sah sie aufmerksam an und kletterte dann über den Stuhl zu ihr auf den Schreibtisch. »Den Vertrag? Ich meine den von Mrs O’Connor.«
»Ja, genau den!«, bekräftigte Finola.
»Aber wie willst du ihn unter all den Papieren finden? Du kannst doch nicht einmal lesen.«
Finola warf ungeduldig ihre langen roten Haare zurück. »Ich denke, ein solch schändliches Papier muss man an seinem Geruch oder seinem widerlichen Aussehen
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