Verzaubert

auf. »Sie muss eingeklemmt sein.«
    »Du begreifst es nicht, oder? Du begreifst es nicht!«, rief Joe kurzatmig und begann hysterisch zu lachen.
    »Reiß dich zusammen!«, fuhr ich ihn an. »Hat irgendjemand hier hinten einen Hammer?«
    »Nein!«, warf Joes Ehefrau Matilda ein, die gerade ins Getümmel gestürzt kam. »Lass die Kiste ganz! Wir haben kein Budget für eine neue!«
    »Wer ist unser Gewerkschaftsvertreter am Set?«, wollte eine der Nymphen wissen. »Es muss eine Vorschrift für derartige Situationen geben.«
    »Ihr begreift einfach nicht!«, schrie Joe.
    »Darling, sag dein Mantra«, wies Matilda ihn beruhigend an und tätschelte sein verschwitztes Gesicht.
    »Ich kann mich nicht an mein Mantra erinnern … O mein Gott, o mein Gott!«
    Einer der Techniker reichte mir einen Hammer. »Zurücktreten!«, befahl ich dem chaotischen Haufen von Schauspielern und Bühnenhelfern.
    »Nein!«, kreischte Matilda erneut und ließ von Joe ab. »Ich warne dich – das ziehe ich dir von der Gage ab!«
    »Sag so was lieber nicht, während sie einen Hammer in der Hand hält«, riet ihr ein Satyr.
    Keuchend zerschlug ich das Glas. »Du willst ein Gewerkschaftsmitglied hier drin ersticken lassen? Ich bin sicher, der Gewerkschaftsvertreter wird –«
    »Sie ist nicht da drin. Verstehst du denn nicht?«, unterbrach Joe mich.
    Ich stemmte den doppelten Boden hoch. Dann taumelte ich ein paar Schritte zurück. Einen Moment lang herrschte ungläubiges Schweigen, während wir alle in den leeren Innenraum starrten.
    »Joe hat recht«, sagte ich schließlich. »Golly ist verschwunden.«

[home]
1
    F ilme, in denen die Heldin in einer bedrohlichen Lage steckt, die Gefahr aber einfach ignoriert, finde ich extrem unglaubwürdig. Wenn du die mysteriöse Drohung erhältst, nicht auf den Speicher zu gehen, und du außerdem weißt, dass derjenige, der als Letzter da hinaufgestiegen ist, in große Schwierigkeiten geriet – würdest du dann wirklich nur mit den Schultern zucken und trotzdem hochgehen? Solltest du es tun, hast du das, was dir da oben zustößt, auch verdient.
    Natürlich schenkte ich also jener mysteriösen Botschaft, die ich wenige Tage nach dem Verschwinden von Golly Gee erhielt, volle Aufmerksamkeit.
    Am Abend der Aufführung hatte der Stage Manager den Vorhang vor einem überraschten Publikum fallen lassen, und der bedauernswerte Theatermanager musste bekanntgeben, dass sich hinter der Bühne ein Unfall ereignet habe und die Show für heute leider zu Ende sei. Wir verbrachten den restlichen Abend damit, unsere Aussagen zu Protokoll zu geben – wobei sich die Polizei weitaus weniger für den Fall interessierte als gewöhnlich. Dafür gab es einen guten Grund: Golly war psychisch nicht sonderlich stabil und glaubte seit ihrer letzten Hypnosetherapie, dass sie in ihrem früheren Leben Marilyn Monroe gewesen sei. Daraus resultierte ein sonderbares Verhalten, einschließlich einer merklichen Besessenheit von der Kennedy-Familie.
    Die Polizei ging also davon aus, dass Golly mitten in der Vorstellung aus irgendeinem merkwürdigen Grund davonmarschiert war. Da es keinerlei Anzeichen von Gewaltanwendung oder eines Verbrechens gab, beschloss der gutaussehende Detective Lopez, der Joe und mich befragte, nichts weiter zu unternehmen. Falls Golly innerhalb der nächsten Tage nicht wieder auftauchte, würde er eine Vermisstenmeldung aufsetzen.
    Ich selbst konnte den Ernst der Lage nur schlecht einschätzen. Schließlich kannte ich Golly kaum. Und davon mal abgesehen, am Ende erhielt ich jene Riesenchance, mit der ich seit Probenbeginn geliebäugelt hatte: Von nun an würde ich die Virtue spielen. Vorausgesetzt, wir konnten Joe dazu bringen, wieder aufzutreten.
    Am Abend von Gollys Verschwinden war Joe so hysterisch, dass er nicht einmal bei Detective Lopez eine Aussage machen konnte. Dieser schien ohnehin keine allzu großen Erwartungen an das logische Denkvermögen von Schauspielern zu stellen. (Die Tatsache, dass wir grün angemalt und mit Glitzer bestäubt waren, trug vermutlich entscheidend dazu bei.) Joe gab sich die Schuld an dem, was auch immer Golly passiert war, und weigerte sich, noch einmal mit dieser Nummer aufzutreten. Matilda sah sich gezwungen, die nächsten Vorstellungen abzusagen, bis sie ihren Gatten wieder zur Vernunft gebracht hatte. Für Joe gab es nämlich keine Zweitbesetzung. Joe war die Show. Doch wir konnten ihn nicht einmal überreden, zu einer Probe zu kommen, die ich angeleiert hatte. Schließlich