Verzaubert
abgesehen verdächtigte er mich, etwas mit Gollys Verschwinden zu tun zu haben – und sein Lächeln war nicht charmant genug, um diese Unterstellung wieder wettzumachen.
Mit einem hatte er allerdings recht: Die Formulierung »Das Böse weilt unter uns« wies auf eine gestörte Persönlichkeit hin. Aber lag ich ebenfalls richtig? Wies sie auch darauf hin, dass ihr Verfasser gefährlich war?
Steigen Sie nicht in die Glaskiste.
Weshalb die Kiste? Glaubte der Absender der Botschaft, dass dieses Requisit gefährlich war? Dachte er, dass Gollys Verschwinden auf einen fehlerhaften Mechanismus und nicht etwa auf einen Nervenzusammenbruch oder ein Verbrechen zurückzuführen war?
Als ich den Transporter vor Magic Magnus’ Geschäft an der Worth Street in Tribeca in zweiter Reihe parkte, versuchte ich, alle Fragen beiseite zu schieben. Ich spürte, wie sich Kopfschmerzen anbahnten, und entschied, diesen ganzen Mist für eine Weile zu vergessen. Wenn ich weiterhin mit diesem Karussell der Spekulationen fuhr, wäre ich am Ende so verwirrt, dass ich meinen Kopf gegen irgendetwas Hartes hämmerte – so wie Lopez. Und diese Gewohnheit schien ihm nicht zu bekommen.
Ich hatte angenommen, Magic Magnus’ wäre ein winziger Laden, doch überrascht stellte ich fest, dass sich das Geschäft über drei Etagen erstreckte. Das Bauwerk, in dem es sich befand, war eins dieser Relikte der Gusseisen-Architektur des 19 . Jahrhunderts. Damals ging man davon aus, dass Gebäude mit Gusseisenstützen, die sich schneller und preiswerter bauen ließen als massive Wände, auch ebenso sicher wären. Dadurch blieb mehr Raum für Fenster, ganz zu schweigen von den kunstvoll ausgearbeiteten Fassaden aus Gusseisen. Sogar an den schmuddeligsten und heruntergekommensten Gebäuden dieses Viertels findet man Renaissance-Pfeiler, barocke Balustraden und viktorianische Ornamente.
Tribeca ist nicht so mondän wie Soho, aber viele der Gebäude hier wurden renoviert. Das von Magic Magnus’ Fachgeschäft für Zaubereibedarf gehörte nicht dazu. Als ich die Tür öffnete und den weitläufigen Verkaufsraum im Erdgeschoss betrat, hatte ich den Eindruck, auch der Staub stamme noch aus dem 19 . Jahrhundert. Magnus’ Geschäfte mussten ganz gut gehen, wenn er sich ein Ladenlokal in diesem Stadtteil leisten konnte, aber ich bezweifelte, dass er viel Laufkundschaft hatte. In den verstaubten Regalen lagen altmodische Requisiten: Zauberstäbe, Hüte, Karten, Tassen mit doppeltem Boden und Ähnliches. An einer Wand reihten sich eigentümliche Kostüme. Die übrige Ladenfläche war vollgestopft mit schlecht präsentierter Ware, unzähligen Kartons, Kisten und Schachteln. Den Etiketten auf diesen Dingern nach zu urteilen bezog Magnus den Krempel aus der ganzen Welt.
Ich sah mich nach dem Ladenbesitzer oder einem Verkäufer um, entdeckte jedoch niemanden. Als ich auf die Theke zuging, stolperte ich über irgendetwas auf dem Boden und wäre beinahe kopfüber gegen eine Eiserne Jungfrau gestürzt. Verblüfft besah ich mir das Teil näher und stellte fest, dass es lediglich eine Requisite für einen Trick war, den auch Joe in
Der Hexenmeister
vorführte: Man steckt ein Mädchen hinein und durchbohrt es mit Schwertern. Angewidert schüttelte ich den Kopf. Diese ganze Zauberei ging offenbar immer damit einher, eine halbnackte Frau zu verstümmeln.
Hinter der Verkaufstheke befand sich eine Wand mit einem Durchgang in der Mitte, vor dem ein roter Samtvorhang hing.
»Hallo?«, rief ich.
Nichts rührte sich.
Auf der Theke entdeckte ich eine Klingel. Auf dem Schild daneben stand »Bitte klingeln«. Das tat ich. Einen Augenblick später gab es einen leisen Knall, eine Rauchwolke entstand, der Geruch nach Schwefel hing in der Luft.
Und dann sah ich mich einem der größten Männer gegenüber, die mir je begegnet waren. An die zwei Meter groß, breit und kräftig, ohne dick zu sein. Auf seinen nackten Armen stellte er eine beeindruckende Auswahl an Tattoos zur Schau. Er hatte struppiges rotes Haar und einen akkurat gestutzten Bart. Der Riese grinste mich an. Seine Zähne waren lang. Einer davon war aus Gold.
Ich wich einen Schritt zurück, und der Mann lachte aus vollem Halse, dröhnend und herzhaft.
Ich fragte: »Magic Magnus, nehme ich an?«
»Der Unvergleichliche!« Er langte über den Tresen, ergriff meine Hand und führte sie an seine Lippen. »Und wer ist diese schöne Maid?«
»Ich bin Esther Diamond. Ich wollte Joes Requisite abholen. Die Glaskiste,
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