Verzauberte Herzen
an, und dann wurde er
blass. »Ich hahab nicht gemerkt, dass Ihr es seid, mein Herr«, stammelte er.
»Vergebt mir.« Er beugte ein Knie vor dem Sohn des Clansherrn.
Bernard
griff ihn sich am Hemd und zog ihn zu sich hoch. Ross mochte um einiges
schwergewichtiger sein, aber er musste sich dennoch strecken, um Bernard in die
Augen sehen zu können. »Noch bin ich nicht dein Herr«, erklärte Bernard. »Aber
eines Tages werde ich es sein. Und ich warne dich. Ich vergesse es nie, wenn einem
der Meinen ein Unrecht zugefügt wird.«
Gwendolyn
biss sich auf ihre zitternde Unterlippe. Das Gespött der Kinder hatte sie nicht
zum Weinen gebracht, wohl aber Bernards Ritterlichkeit.
Ross
schluckte schwer. »Zu Befehl, mein Herr. Und ich werde Eure Warnung nicht
vergessen.«
»Das
solltest du auch nicht.«
Ross mochte
niedergeschlagen wirken, als er sich mit seinen Gefährten von der Lichtung
trollte, aber Gwendolyn hatte den finsteren Blick, den er in die Baumkrone
hinaufgeworfen hatte, durchaus bemerkt. Später würde er sie für die erlittene
Demütigung bezahlen lassen.
Gwendolyn
bohrte ihre abgewetzten Fingernägel in die Baumrinde und realisierte, dass die
Kinder Bernards Befehl gefolgt waren. Sie hatten sie allein gelassen.
Mit ihm.
Sie drückte
ihre Wange an den Stamm und betete darum, wie eine scheue Waldelfe einfach in
der Rinde verschwinden zu können. Eine nüchterne Stimme machte ihre Hoffnungen
zunichte. »Sie sind weg. Du kannst jetzt herunterkommen.«
Gwendolyn
machte die Augen zu und fürchtete, dass er hochmütig das Gesicht verziehen
würde, sobald sie herunterkletterte. »Mir geht es hier oben wirklich sehr
gut.«
Er atmete
tief durch. »Es passiert auch nicht alle Tage, dass ich die Ehre habe, eine
bedrängte Maid zu retten. Ich denke, du wirst dich bedanken wollen.«
»Vielen
Dank. Würdet Ihr nun bitte gehen und mich alleine lassen?«
Sich ihm zu
widersetzen, war ihr erster Fehler. »Nein, das werde ich nicht. Dies ist mein
Land und folglich mein Baum. Wenn du nicht herunterkommst, komme ich zu dir
hinauf.« Er stellte einen Fuß in eine der unteren Astgabeln und griff nach
einem hängenden Zweig.
Gwendolyn
sah ihn schon mit langen, geschmeidigen Bewegungen rasant den Baum erklimmen,
da machte sie ihren zweiten Fehler. Sie kletterte weiter nach oben. Doch in
ihrer Hast vergaß sie, die Äste zu prüfen. Zuerst knarrte es, wenig später
krachte es, und dann stürzte sie auch schon geradewegs nach unten. Ihr letzter
klarer Gedanke war so etwas wie Bitte lieber Gott, lass mich auf den Kopf
fallen und mir das Genick brechen. Aber die launischen Äste ließen sie ein
weiteres Mal im Stich und bremsten stattdessen ihren Fall.
Sie
erhaschte glücklicherweise noch einen kurzen Blick in Bernards schockiertes
Gesicht, bevor sie auf ihn herunterknallte und ihn zu Boden riss.
Gwendolyn
brauchte einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen. Sie öffnete die Augen und
sah Bernard ausgestreckt unter sich liegen, sein Gesicht nur eine Handbreit
von ihrem entfernt.
Er hatte
die Augen geschlossen, die dunklen Wimpern waren dichte, kleine Fächer in
seinem gebräunten, maskulinen Gesicht. Gwendolyn war ihm so nah, dass sie
sogar den Bartwuchs erahnen konnte, der bald sein Kinn umschatten würde.
»Herr?«,
flüsterte sie.
Er rührte
sich nicht und gab keinen Ton von sich.
Gwendolyn
fing zu jammern an. »O Gott, jetzt habe ich ihn umgebracht.«
Wenn der
Sturz sie nur gleich mit getötet hätte! Dann würden die Dorfbewohner sie so
vorfinden. Gwendolyn schützend über Bernard geworfen, im Tod vereint wie nie
zuvor im Leben. Sie konnte dem herzzerreißenden Pathos dieser Idee nicht
widerstehen, vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und ließ einen Schluchzer
hören.
»Hast du
dich verletzt, Mädchen?«, flüsterte er mit rauer Stimme.
Gwendolyn
hob langsam den Kopf. Bernard hatte die Augen geöffnet, aber es war nicht der
befürchtete, todesstarre Blick, der sie jetzt traf. Seine Augen funkelten
tiefgrün wie kostbare Smaragde, die man in einem geheimen Versteck aufbewahrt.
Als er ihr
sanft ein Blatt aus dem Haar strich, rappelte sie sich, so schnell es ging,
auf.
»Ich habe
mir nur meinen Stolz verletzt«, sagte sie. »Und Ihr? Habt Ihr Euch wehgetan?«
»Ich würde
sagen, nein.« Er sprang auf und klopfte sich Laub und Dreck vom Leib. »Es
braucht schon mehr als ein Kind, das mir auf den Schoß fällt, um mich außer
Gefecht zu setzen.«
Ein Kind?
Gwendolyn fühlte förmlich, wie sich ihr die Zöpfe
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