Verzauberte Herzen
gespenstische
Lichter aufflackern sehen.
Gwendolyn
hätte gern behauptet, nichts Derartiges erlebt zu haben. Aber als sie in einer
kalten Februarnacht mit der Augenpaste für ihren Vater vom Salbenmacher nach
Hause lief, hatte ein unirdisches Geheul sie fast erstarren lassen. Sie hatte
sich langsam umgedreht und gelähmt der Melodie gelauscht, die wie aus ferner
Zeit an ihr Ohr drang. Einer Zeit, als Ballybliss und der Clan der MacCulloughs
unter der mildtätigen Herrschaft des Clansherrn erblüht waren. Einer Zeit, als
ihr Vater zu Hause Dudelsack spielte und das Lachen ihrer Mutter das
Herrenhaus erfüllte. Einer Zeit, als all ihre Hoffnungen auf einem strahlend
lachenden Jungen mit smaragdgrünen Augen ruhten.
Die
bittersüße Melodie hatte ihr im Herzen wehgetan und ihr die Tränen in die Augen
getrieben.
Sie hatte
zwar keine flackernden Lichter gesehen, aber sie hätte schwören können, dass
sich dort oben der Schatten des Mannes bewegte, zu dem der Junge herangewachsen
wäre, wenn er überlebt hätte. Nur ein Wimpernschlag, und er war verschwunden.
Und Gwendolyn blieb mit ihrer wehmütigen Erinnerung an seine Melodie zurück.
Kurz darauf
hatte Ailbert an der alten Eiche den ersten Brief des Drachen gefunden.
»Der
verdammte Fluch«, murmelte Ross, dem der spöttische alte Tavis den Wind aus
den Segeln genommen hatte.
»Ja genau,
der Fluch«, bestätigte sein Vater, dessen herbes Gesicht noch länger schien als
sonst.
Lachlan
nahm Nessa schützend in den Arm. »Es ist irgendwie ungerecht, dass auch Nessa
und ich unter dem Fluch leiden sollen. Wir waren damals doch noch Kinder.«
Der alte
Tavis drohte wieder mit dem Finger. »Ja, ja, aber die Sünden der Väter werden
zur Schuld der Söhne werden.«
Die Menge
stimmte ihm murmelnd zu, und ein paar bekreuzigten sich verstohlen. Die Krone
mochte ihnen ihre Religion und ihre Tartans verboten haben, aber fünfzehn Jahre
eisernen englischen Regiments reichten nicht aus, sie ihren Gott verleugnen zu
lassen. Gwendolyn bezweifelte, ob irgendeiner bemerkt hatte, dass Tavis
Euripides zitiert hatte und nicht die Heilige Schrift.
Sie schob
Kitty sanft zur Seite und trat nach vorne ins Licht des Feuers. »Pah! Es gibt keine
Flüche. Und auch keine Drachen.« Die Dörfler widersprachen ihr lauthals, aber
Gwendolyn ließ sich nicht entmutigen. »Hat irgendeiner diesen Drachen schon
einmal gesehen?«
Ian Sloan
tauschte einen Blick mit seinem Zwillingsbruder. »Ich hab sein schreckliches
Fauchen gehört«, sagte er in die Stille hinein.
»Ich hab
seine Flügel gespürt, wie er über mich drübergeflogen ist«, blökte Ham.
»Und ich
hab seinen Atem gerochen, wirklich«, setzte Norval hinzu. »Der war wie Schwefel
aus der Hölle. Und am nächsten Morgen war mein Feld davon niedergebrannt.«
»Vom Atem
des Drachen oder doch nur wie mit einer Fackel?« Gwendolyn nahm Ailbert das
Pergament aus der Hand. »Wenn unser Peiniger ein Drache ist, wie schreibt er
dann diese lachhaften Forderungen auf? Klemmt er sich eine Feder zwischen die
Klauen oder beschäftigt er einen Sekretär?«
»Jeder
weiß, dass er sich in einen Mann verwandeln kann, wenn er will«, betonte eine
ältere Witwe. »Er ist heute Nacht vielleicht sogar hier.«
Die Dörfler
rückten ein wenig auseinander und beäugten einander misstrauisch. Gwendolyn
schloss kurz die Augen und vergegenwärtigte sich, dass irgendwo auf der Welt Mathematiker
Eulers Analysis Infinitorum studierten, Philosophen über Adam Smiths Theorie
der ethischen Gefühle debattierten und schöne Frauen mit gepuderten Haaren
und seidenen Schuhen in den Armen ihrer Galane durch goldprunkende Ballsäle
wirbelten.
Sie wandte
sich Ailbert zu und appellierte an seinen nüchternen Verstand. »Ich glaube,
euer Drache ist nur ein böser Schwindel. Irgendjemand ist so herzlos, euch eine
Strafe zu verpassen, die ihr euch im Grunde fast ersehnt; die Strafe für etwas,
das eh nicht mehr gutzumachen ist.«
Aber
Ailbert dachte genauso wie die anderen. »Ich will dich nicht kränken, Mädchen,
aber du bist zum Lesen hier und nicht zum Denken.«
Gwendolyn
klappte den Mund zu und das cremefarbene Pergament auf. Da war sie, die
vertraute, männlich-arrogante Handschrift.
»Seine
Lordschaft der Drache verspüren einmal mehr Hunger. Wenn es nicht zu viel der
Mühen sind, ersucht euch Seine Lordschaft um frisches Wildbret, ein Fässchen
recht alten Whiskys ...« Ein paar Männer nickten zustimmend. So bedrohlich
dieser Teufel auch sein mochte, an seinem
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