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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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genügte. Und er hatte keinen Hunger. Vor dem gardinenverhangenen Fenster saßen drei Touristen und verschlangen dick belegte Semmelhälften. Am Tisch neben dem Gummibaum las ein Gast, der einen billigen Anzug anhatte, in der Zeitung.
    Rührei tropfte ihm vom Mund auf den Teller. Ein anderer Mann, der dick war und schwitzte, schlürfte seinen Kaffee und schaute dauernd auf die Uhr. An einem bescheidenen Büfett ordnete eine junge Frau Marmeladenschälchen und schnitt Scheiben von einem Laib Brot ab und legte sie in einen Korb.
    »Setzen Sie sich doch!«, sagte sie zu Niklas Schilff.
    »Danke«, sagte er. Und verließ den hell erleuchteten, überhitzten Raum.
    Vor dem Hotel empfing ihn ein grieseliger Sonntag. Eine verwaschene, verwackelte Aufnahme einer Stadt. Die ihm bis zum Erbrechen vertraut vorkam.
    Am liebsten hätte er sich in seinem kleinen Zimmer im ersten Stock eingeschlossen. Und ferngesehen. Den ganzen Tag. Wieso hing der Kasten eigentlich wie ein Kruzifix im Herrgottswinkel?
    Herrgottswinkel! Wo kam dieses Wort her? Wieso erinnerte er sich jetzt, in der schmalen Lämmerstraße, die nass vom Regen war, an diesen Ausdruck? Den ich garantiert nie benutzt hab.
    In dem tristen Neubau gegenüber war die Methadon-Ambulanz untergebracht. Es gibt also Junkies in dieser sauberen Stadt. Was mach ich jetzt? Er war hier. Gerade noch war er in Los Angeles gewesen. In seinem Appartment in der Ezra Street. Nachbar des griechischen Kochs, der in seiner Heimat angeblich ein berühmter Musiker war, bevor er das Kokain entdeckte.
    Ich muss was trinken. Bier. Das schadet nicht um zwanzig vor acht am Morgen.
    Bevor er die Lämmerstraße verließ, um einen sinnlosen Blick auf die Speisekarte des Restaurants zu werfen, dessen Terrasse er von seinem Zimmer aus sehen konnte, erschauderte er. Nicht wegen der Kälte. Und der Feuchtigkeit. Sondern von der Wucht eines Gedankens.
    »Ich bin kaputt«, sagte er zu dem dunkelhaarigen Mann mit dem verkniffenen Gesicht, der ihm das Bierglas hinstellte.
    Schilff hielt ihn für einen Kroaten oder Serben. Die Männer an den übrigen Tischen sprachen serbokroatisch. Wenn er sich nicht täuschte.
    »Kaputt, gut«, sagte der Kellner. Und ein halbes Grinsen verschob seinen Mund.
    Schilff betrachtete das Bier. Innerhalb von Sekunden verschwand der Schaum. Und zurück blieb eine fade Flüssigkeit.
    Fade. Fade. Auch dieses Wort hatte er seit Jahren nicht benutzt.
    Nicht, dass er zwischendurch nicht regelmäßig in Deutschland gewesen wäre. Auf Einladung der Journalistenschule hatte er einen Vortrag in Hamburg gehalten, zweimal in Berlin aus dem Buch mit seinen gesammelten Interviews gelesen. Und oft seinen Freund besucht. Der hatte regelmäßig Reportagen von ihm für das Magazin eingekauft, dessen Chefredakteur er war. Bei diesen Gelegenheiten fuhr Schilff mit einem Leihwagen aufs Land. Um heimlich das Haus zu beobachten, in dem er mit seinen Eltern gelebt hatte. Dort wohnte jetzt ein Ehepaar, das die meiste Zeit des Jahres auf Gomera verbrachte. Er hatte nichts Bestimmtes vor. Er wollte nur das Haus aus der Ferne sehen.
    Hinterher betrank er sich jedes Mal. Und brüllte nachts auf den Straßen.
    Fade. Fad. Ein Wort von früher. Mia is fad.
    Seine Reportagen und Interviews verfasste er alle auf Deutsch.
    Er hatte Umgang mit seiner Muttersprache. Schilff bewegte die Lippen. Von den Nachbartischen zog Rauch herüber. Und brannte ihm in den Augen. Ihm fiel der Name dieser Kneipe im Durchgang zwischen Hirten und Arnulfstraße ein: »Smokey«. Vielleicht herrschte hier Rauchpflicht. Trotz der frühen Tageszeit saßen an fast allen Tischen Männer. Ausschließlich Männer. Sie redeten. Tranken Tee oder Kaffee.
    Rauchten. Und hatten anscheinend aufregende Themen zu diskutieren.
    Niemand beachtete ihn. Gelegentlich blickte der Mann, der ihn bedient hatte und die meiste Zeit an der Theke mit zwei Freunden redete, zu ihm her. Das Bier im Glas wurde nicht weniger. Schilff hatte noch keinen Schluck getrunken. Ich bin kaputt.
    Es war ein Gedanke. Er konnte ihn hören. Und doch kam es Schilff so vor, als hänge dieser Gedanke in einer Glaskuppel.
    Und würde wie ein Pendel hin und her schwingen. Mitten in seinem Kopf. Hörbar und sichtbar. Und sei dort fest verankert.
    Und könne nicht bis in sein Herz oder seinen Bauch vordringen.
    So klar ihm in der Lämmerstraße sein Zustand auch erschienen war, seine Empfindungen erschütterten ihn noch nicht. Was ich denk, ist eines. Was ich fühl, was anderes.
    Was

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