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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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den Tiergeschichten in der Innentasche. Also träumte sie nicht. Dies war etwas, das es nur in der Wirklichkeit gab. Erleichtert atmete sie auf. Und dann sah sie ihn.
    Er kauerte in der Ecke unterhalb der schrägen Wand, mit gekrümmtem Oberkörper, die Beine angewinkelt, die Hände auf den Boden gestützt. Hinter der Badewanne. Ariane musste an einen Jungen denken, der sich versteckte. Oder der für etwas bestraft worden war und sich nicht rühren durfte. Den Kopf im Nacken blickte er starr zur Tür.
    Je länger Ariane ihn anschaute, desto mehr empfand sie eine eigentümliche Sanftmut, die von ihm ausging. Als würde dieser Raum den ein Meter neunzig großen Mann nicht niederdrücken, sondern seine Gewalt zähmen.
    Schilff sprang waagrecht auf Ariane zu. Packte sie wieder im Nacken. Drückte sie zu Boden. Und kniete sich neben sie.
    »Hier sperr ich dich ein!«, sagte er. Unter seiner Pranke war sie unfähig, den Kopf zu bewegen.
    »Ich…«
    »Morgen Nacht bringe ich was zu essen und zu trinken mit. Ich muss vorsichtig sein.«
    »Warum?«, flüsterte sie. Und die Schmerzen kehrten zurück.
    Überall. In den Beinen. Am Rücken. In den Gedärmen.
    »Uns braucht niemand mehr«, sagte er. Und ließ sie los.
    »Das stimmt nicht«, sagte sie heiser. Er lachte. Obwohl er seine Hand weggenommen hatte, spürte sie weiter den Druck seiner Umklammerung. Sie legte den Kopf schief.
    Er war aufgestanden. Lachte mit geschlossenem Mund. Die Lippen aufeinander gepresst, gab er abgehackte Laute von sich. Sein Kopf zuckte. Die dünnen Haare hingen ihm über die Augen.

17
    I ch bin sicher, hatte die Bedienung Susi mehrmals am Telefon gesagt. Und sie waren sofort aufgebrochen. Es war siebzehn Minuten nach zwanzig Uhr. Weder Tabor Süden noch Sonja Feyerabend waren in der Sitzung auf neue Ideen gekommen, wie sie eine Spur zu Ariane Jennerfurt finden könnten.
    »Da ist er!«, sagte Susi und deutete auf den Mann, der in der Mitte des Tresens saß und den Kopf in beide Hände stützte.
    »Grüß Gott, Herr Schilff«, sagte Süden. Er setzte sich auf den Barhocker neben ihn. Sonja blieb stehen. Es wäre ihr lieber gewesen, woanders hinzugehen. In der schlechten Luft und dem Gestank wurde ihr übel. Außerdem hatte sie Hunger. Aber nicht auf chinesische Chemie.
    »Wir haben Sie gesucht«, sagte Süden.
    »Ich bin hier«, sagte Schilff. Er hatte wieder seine Jeansjacke mit dem Webpelzkragen an. Beim Trinken wippte er mit dem rechten Bein.
    »Haben Sie Ariane Jennerfurt gesehen?« Süden gab dem asiatischen Koch ein Zeichen.
    »Kommissar! Bier? Und Frau Kommissar tolle Suppe?« Der Koch lächelte. Sonja lächelte. Süden nickte.
    »Ein großes Wasser«, sagte sie.
    »Sehr gesund«, sagte der Koch.
    »Wir waren in Ihrer Pension«, sagte Süden. »Niemand wusste, wo Sie sind. Wo waren Sie?«
    »Unterwegs.« Schilff machte nicht nur den Eindruck eines Mannes, der zu viel getrunken hatte. Er wirkte, als habe er in den vergangenen Tagen nichts anderes getan als getrunken.
    Und darüber vergessen zu schlafen.
    Süden schwieg. Der Koch stellte ihm das Bier hin und gab Sonja das Wasser. Dann wartete er einen Moment, ob Schilff noch etwas bestellen wollte, und widmete sich, nachdem dieser ihn nicht einmal zu bemerken schien, wieder seinen Pfannen.
    »Wann waren Sie zuletzt in der Wohnung von Frau Jennerfurt?«, fragte Sonja. Sie holte ein Päckchen Papiertaschentücher aus ihrem Mantel. Zog ein Tuch heraus und ließ die Packung so fallen, dass sie in Schilffs Schoß landete.
    »Entschuldigung.«
    Wortlos hielt er ihr die Packung hin. Sie schnäuzte sich zuerst, worüber sich Süden vier Sekunden lang wunderte. Dann nahm sie das Päckchen und steckte es zurück in die Manteltasche.
    »Wann waren Sie zuletzt in der Wohnung?«, wiederholte Süden die Frage seiner Kollegin.
    »Lang her«, sagte Schilff.
    »Sie haben sie im Taxi nach Hause gebracht.«
    »Exactly.« Er trank sein Bier aus und stellte das Glas an den Rand des Tresens.
    »Ich hab was vergessen«, sagte Sonja. Warf den beiden Männern einen flüchtigen Blick zu und verließ das Bistro.
    »Bleiben Sie in der Stadt?«, fragte Süden. Bis Sonja aus dem Labor zurückkam, würde es mindestens eine Stunde dauern. Um diese Zeit arbeitete niemand mehr, und Sonja musste einen Kollegen hinbestellen.
    »Ich hab nichts vor, ich steh vor der Wand, und ich hab beschlossen, mich anzulehnen, ist das okay? Ich lehn mich an und schau mir die Gegend an, die anderen drei Wände.«
    »Zwei«, sagte

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