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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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freitags trafen sie sich regelmäßig auf ein Bier, und wenn sie nichts anderes verabredeten, dann hier in diesem Bistro.
    Doch Süden kam nicht dazu, sich Sorgen zu machen.
    »Haben Sie schon mal jemand umgebracht?«, fragte Schilff. Er hatte sich wieder hingesetzt und hielt das Bierglas mit beiden Händen fest. Langsam kehrte seine Wut zurück. Diese Wut, die ihn Dinge tun ließ, die er nie für möglich gehalten hätte, die ihn in einen Mann verwandelte, der nicht nur auf das reagierte, was andere vormachten. Sondern der selbst die Handlung bestimmte. Jetzt wäre er ein Objekt für Beobachter. Für Reporter.
    Für Leser und Zuschauer. Für die Öffentlichkeit. Jetzt wären die Augen auf ihn gerichtet. Er wäre der Angeschaute. Und nicht länger der Schauende. Der Glotzende. Der Hinterhergierende.
    Wenn er es zuließe! Was ich nicht tu. Was ich nicht vorhab.
    Nach meinem Tod bin ich bereit für die Öffentlichkeit. Jetzt noch nicht. Für niemand. Fast niemand.
    »Nein«, sagte Tabor Süden.
    »Was?« Dann fiel Schilff die Frage wieder ein. »In Amerika erschießen die Polizisten dauernd Leute, natürlich in Notwehr.«
    »So wie hier.«
    »Ja«, sagte Schilff. Jetzt hatte er zwei leere Biergläser vor sich stehen.
    Sie schwiegen lange.
    »Aber Sie haben die Macht. Sie können jederzeit schießen, Sie brauchen auf keine Not zu warten. Sie drücken ab, und das Gesetz gibt Ihnen hinterher Recht.«
    »Auch das ist möglich.«
    Diese Bemerkung erfreute Schilff. Er klopfte die Fäuste aneinander.
    »Warum, glauben Sie, erschießt ein Polizist einen Menschen? Weil er weiß, er wird nicht erwischt? Weil er es geübt hat? Weil er mit einer Waffe umgehen kann? Weil er mal ausprobieren will, wie das so ist? Hm?«
    »Vielleicht hat er Angst um sein Leben«, sagte Süden.
    »Dann wäre es ja Notwehr. Das schließen wir aus!«
    »Notwehr ist ein juristischer Begriff. Angst nicht.« Klirrend schlug Schilff das eine Glas gegen das andere. Wieder vergingen Minuten in Schweigen.
    »Waren Sie noch einmal in der Wohnung von Ariane Jennerfurt?«, fragte Süden.
    »Nein.«
    »Sie lügen.«
    Von ihm unbemerkt, war Sonja Feyerabend hinter Schilff aufgetaucht. Sie trug ihre Ledermütze und ihren Wollmantel. Und sie war außer Atem.
    »Wenn Sie bitte mit uns ins Dezernat kommen«, sagte sie.
    »Will ich nicht.«
    »Wir haben Spuren von Ihnen in Arianes Wohnung entdeckt.«
    »Ich war dort, Frau Polizistin.« Ihre Hektik nervte ihn. Und ihre Ledermütze. Und ihre Nase.
    »Ja«, sagte Sonja, »Sie waren im Flur, da haben Sie sich von Frau Jennerfurt verabschiedet.«
    »Exactly.«
    »Wo waren Sie nicht in der Wohnung? Waren Sie auf der Toilette?«
    »Was hätt ich dort sollen?«
    »Kommen Sie!«, sagte Süden und legte das Geld für sein Bier auf den Tresen.
    »Nein«, sagte Schilff.
    »Wir haben die Fingerspuren, die von Ihnen hier drauf sind…«, Sonja Feyerabend zog das Päckchen mit den Papiertaschentüchern aus der Tasche, »… mit Spuren aus der Wohnung verglichen. Es sind dieselben.«
    »Ich hab eben was berührt«, sagte Schilff.
    »Wir haben Abdrücke von Ihnen in der Küche und im Schlafzimmer gefunden«, sagte Sonja.
    »Sie waren betrunken«, sagte Süden. »Wer weiß, in welchem Zimmer Sie aus Versehen gewesen sind.«
    Schilff überlegte. Dann presste er die Hand auf den Bauch. Niemand durfte merken, dass er blutete. Er musste ruhig sitzen. Ich darf nicht zappeln, ich darf nicht auffallen.
    »Okay«, sagte er.
    Vom Labor der Kriminaltechnik aus hatte Sonja Feyerabend ihre Kollegen Weber und Epp angerufen und sie beauftragt, in die Rothmundstraße zu fahren und Nachbarn zu befragen.
    Danach hatte sie auf dem Weg zum Bahnhof überlegt, was sie unternehmen sollten, falls Niklas Schilff sich weigerte sie zu begleiten. Gegen ihn lag nicht der geringste Beweis vor. Sie hatten beide, Süden und sie, einen Verdacht. Mehr eine Vermutung, von der sie auch ihrem Vorgesetzten Volker Thon berichtet hatten. Doch wie er waren sie der Meinung, dass sie ohne konkrete Zeugenaussagen ins Leere argumentierten. Und die Nachbarn hatten nichts gesehen.
    »Ich hab mit der Frau oben, also der aus dem gleichen Stock, die… du weißt schon…«, sagte Freya Epp und blätterte in ihrem Zettelchaos. »Die Frau Moll, genau, so heißt die, glaub ich, ja… die sagt, sie hat den Mann nicht gesehen…«
    »Die Frau Glasner im vierten Stock auch nicht«, sagte Paul Weber. »Sie hat eine Männerstimme gehört, irgendwann, anscheinend hört die öfter

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